Carolin Alexander

Ungeklärte Verhältnisse

Eine relationstheoretische Perspektive auf wissenschaftliche Weiterbildung
Berlin: Springer 2023
(199 S; ISBN 978-3-658-42869-3; 66,81 EUR)

Carolin Alexanders Buch ‘Ungeklärte Verhältnisse – Eine relationstheoretische Perspektive auf wissenschaftliche Weiterbildung’ ist ein anspruchsvolles und theoriegeleitetes Werk, das zentrale Bedingungen, Bedeutungen und Herausforderungen wissenschaftlicher Weiterbildung systematisch reflektiert. Ausgangspunkt ist die Leitfrage, wie sich das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft in Weiterbildungsformaten konstituiert und warum gängige Begriffe wie ‘Dialog’, ‘Transformation’ oder ‘Vermittlung’ oft unzureichend theoretisch fundiert sind. Alexander fordert – und begründet – eine Relationstheorie, wonach nicht isolierte Subjekte, sondern die Beziehungen zwischen ihnen – etwa zwischen Lehrenden, Lernenden, Institutionen – als konstitutives Moment verstanden werden. Erkenntnis entsteht demnach nicht durch lineare Wissensvermittlung, sondern durch dynamische Wechselwirkungen.

Das Buch ist in sechs logisch aufeinander aufbauende Kapitel gegliedert. Im ersten Kapitel skizziert Alexander das erkenntnisleitende Interesse und begründet ihre methodologische Vorgehensweise. Sie argumentiert, dass Weiterbildungsforschung eine stärkere Klärung der theoretischen Grundbegriffe benötigt, insbesondere jener, die Beziehungen und Vermittlungsverhältnisse beschreiben. Bereits hier wird deutlich: Die Autorin strebt nicht lediglich eine additive Erweiterung bestehender Modelle an, sondern eine konzeptionelle Neuausrichtung, die auf einer Relationstheorie basiert.

Das zweite Kapitel entfaltet die erkenntnistheoretische Fundierung des relationstheoretischen Ansatzes mit besonderem Bezug auf die Arbeiten von Julius Jakob Schaaf. Alexander nutzt Schaafs Überlegungen zu einer relationalen Ontologie, die sich dezidiert von substanzlogischen Denkformen absetzt. Entitäten wie Subjekt, Objekt oder Wissen werden nicht als stabile Einheiten verstanden, sondern als Ergebnisse relationaler Prozesse. Damit wird ein theoretischer Rahmen geschaffen, der es erlaubt, wissenschaftliche Weiterbildung nicht als Ort der Vermittlung fixierter Inhalte, sondern als dynamisches Feld von Bedeutungsproduktion zu begreifen.

Zentral ist dabei das Konzept des ‘Relational Frame’, das Alexander im Buch in drei aufeinander aufbauenden Schritten entfaltet. Der erste Schritt beschreibt die Visibilisierung von Kontingenz. Damit ist gemeint, dass gesellschaftliche, wissenschaftliche oder institutionelle Verhältnisse häufig als selbstverständlich erscheinen, obwohl sie historisch gewachsen und prinzipiell veränderbar sind. Alexander zeigt, wie in der Weiterbildung durch routinierte Formate, standardisierte Ziele oder dominierende Diskurse diese Kontingenzen unsichtbar gemacht werden. Der zweite Schritt ist die Erschließung von Beziehungsstrukturen. Hier wird analytisch offengelegt, welche Relationen in konkreten Weiterbildungssettings wirksam sind – zwischen Personen, Themen, Erwartungen und institutionellen Rahmenbedingungen. Der dritte Schritt zielt auf die Sicherstellung einer komplementären Verschränkung. Alexander versteht darunter das bewusste Gestalten von Lernprozessen, in denen die unterschiedlichen Perspektiven und Wissensformen produktiv ineinandergreifen, ohne dass eine dominierende Logik (z. B. die der Wissenschaft) die anderen vollständig absorbiert.

Ergänzend integriert Alexander in ihre Argumentation die Arbeiten von Malte Ebner von Eschenbach, insbesondere hinsichtlich der Notwendigkeit einer Rekonzeptualisierung bildungstheoretischer Grundbegriffe. Sie folgt der Überlegung, dass wissenschaftliche Theoriebildung dann produktiv ist, wenn sie Widersprüche und Differenzen nicht auflöst, sondern sichtbar macht und als Ausgangspunkt für neue Denkbewegungen nutzt. In Verbindung mit Schaafs relationalem Denken ergibt sich daraus ein erkenntnistheoretischer Zugriff, der auf Differenz, Pluralität und Situativität aufbaut. Dieses Kapitel markiert somit einen zentralen theoretischen Knotenpunkt des Buches: Es geht nicht nur um die theoretische Fundierung relationalen Denkens, sondern um eine methodische Grundlage zur Analyse und Gestaltung wissenschaftlicher Weiterbildung. Der Relational Frame wird dabei nicht als abstraktes Modell vorgestellt, sondern als praktisch anschlussfähiger Reflexionsrahmen, der Orientierung bietet für die nachfolgenden empirisch-diskursiven und konzeptionellen Kapitel.

Kapitel drei analysiert wissenschaftliche Weiterbildung im Spannungsfeld gesellschaftlicher und institutioneller Veränderungen. Alexander arbeitet heraus, wie sich die Diskurse um Demokratisierung, Teilhabe und ‘Third Mission’ auf die Selbstbeschreibung und Gestaltung wissenschaftlicher Weiterbildung auswirken. Dabei bleibt sie nicht bei einer Beschreibung externer Erwartungen stehen, sondern hinterfragt, wie diese diskursiven Verschiebungen auf die Strukturverhältnisse zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zurückwirken.

Das vierte Kapitel bietet eine kritische Auseinandersetzung mit bestehenden theoretischen Modellierungen wissenschaftlicher Weiterbildung. Die Autorin identifiziert systematische Leerstellen in Bezug auf Relationalität und schlägt eine alternative Systematik vor, die nicht auf den Dualismus von Theorie und Praxis, Subjekt und Objekt oder Wissen und Anwendung reduziert werden kann. Die vorgeschlagene Perspektive bricht mit klassisch strukturierenden Differenzen und rückt stattdessen emergente Beziehungskonstellationen in den Mittelpunkt.

Im fünften Kapitel konkretisiert Alexander diese Überlegungen anhand des Vermittlungsbegriffs. Sie dekonstruiert dessen häufig lineare Verwendung und plädiert für ein Verständnis von Vermittlung als relationale Praxis, in der unterschiedliche Positionen, Interessen und Wissensformen in produktive Spannungsverhältnisse gebracht werden. Vermittlung wird so nicht als bloßer Kanal, sondern als reflexiv-performativer Prozess begreifbar, der Subjekte wie Inhalte gleichermaßen transformiert.

Das abschließende sechste Kapitel bündelt die theoretischen und methodologischen Überlegungen im Konzept der ‘phänomenotechnischen Weiterbildung’. Aufbauend auf epistemologischen Bruchtheorien entwirft Alexander ein Weiterbildungsformat, das wissenschaftliches und gesellschaftliches Wissen in einen experimentellen Raum gemeinsamer Erkenntnis überführt. Dabei werden dominante Wissensformen irritiert und neue epistemische Konfigurationen ermöglicht. Phänomenotechnik meint in diesem Zusammenhang die bewusste Gestaltung von Bildungsräumen, in denen Erkenntnis nicht reproduziert, sondern relational hervorgebracht wird.

Zentral für das gesamte Werk ist der Vorschlag einer relationstheoretischen Resystematisierung wissenschaftlicher Weiterbildung. Alexander argumentiert überzeugend, dass bisherige Modelle entweder zu stark auf inhaltliche oder institutionelle Aspekte fokussiert sind oder die Relationen zwischen den beteiligten Subjekten und Kontexten nur unzureichend modellieren. Ihr Beitrag besteht darin, diese Relationen selbst zum Gegenstand theoretischer und praktischer Reflexion zu machen. Dabei gelingt es ihr, strukturelle, epistemologische und methodische Dimensionen miteinander zu verbinden.

Das Buch richtet sich primär an wissenschaftlich Tätige in der Erwachsenenbildung, der Hochschuldidaktik, in transdisziplinären Forschungsfeldern sowie in der Wissenschaftskommunikation. Auch fortgeschrittene Studierende mit erkenntnistheoretischem Interesse finden hier eine theoretisch anspruchsvolle, aber erkenntnisreiche Lektüre. Die theoretische Dichte stellt zugleich eine Zugangsbarriere dar. Wer mit den zugrunde liegenden epistemologischen Positionen nicht vertraut ist, benötigt eine gewisse Bereitschaft zur vertieften Auseinandersetzung. Zudem ist zu konstatieren, dass der Praxisbezug trotz zahlreicher Beispiele eher implizit bleibt. Eine systematische Operationalisierung des Konzepts der phänomenotechnischen Weiterbildung für konkrete institutionelle Kontexte steht somit noch aus.

Für die wissenschaftliche Weiterbildung liefert das Buch dennoch hervorragende substanzielle Impulse. Es fordert dazu auf, Bildungsprozesse nicht primär unter Ziel- und Wirkungsaspekten zu betrachten, sondern relational und prozessorientiert zu denken. Insbesondere für die qualitative empirische Forschung bietet Alexanders Relationstheorie ein tragfähiges Konzept zur Analyse und Gestaltung interaktiver Bildungsräume. Auch für die Entwicklung reflexiver Fortbildungsformate oder universitärer Lehrpraxis eröffnen sich durch die phänomenotechnische Perspektive neue didaktische Spielräume, etwa durch die gezielte Integration epistemologischer Irritationen oder durch experimentelle Settings der Ko-Produktion von Wissen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Carolin Alexander mit ‘Ungeklärte Verhältnisse’ ein erkenntnistheoretisch innovatives Werk vorlegt, das zentrale Begriffe wissenschaftlicher Weiterbildung neu denkt und durch eine konsistente relationstheoretische Perspektive ersetzt. Die Verbindung von theoretischer Tiefenschärfe, analytischer Präzision und konzeptioneller Kreativität macht das Buch zu einem relevanten Beitrag für die Theorieentwicklung im Feld wissenschaftlicher Weiterbildung. Es ist nicht nur ein Plädoyer für eine relational gedachte Bildungspraxis, sondern zugleich eine fundierte Einladung zur Neugestaltung des Wissenschafts-Praxis-Verhältnisses.

Zur Zitierweise der Rezension
Attila Pausits (Krems): Rezension von: Carolin Alexander: Ungeklärte Verhältnisse. Eine relationstheoretische Perspektive auf wissenschaftliche Weiterbildung. Berlin: Springer 2023 (199 S; ISBN 978-3-658-42869-3; 66,81 EUR). In: EWR 24 (2025), Nr. 3 (Veröffentlicht am: 18. November 2025), URL: https://ewrevue.de/2025/11/ungeklaerte-verhaeltnisse/