Florian Gimpl

Nation building in der Ersten Republik und der Kanzlerdiktatur 1918-1938

Eine Untersuchung zur Beziehung zwischen österreichischer Schule und Nationalstaatsideologie
Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt 2024
(196 S; ISBN 978-3-7815-2631-0; 42,00 EUR)

Die vorliegende bildungshistorische Studie von Florian Gimpl wurde 2023 an der Universität Wien als Dissertation verteidigt. Sie versucht die Phase zwischen dem Zerfall der Habsburgermonarchie und der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich in den Blick zu nehmen und dabei insbesondere den bislang wenig erforschten Beitrag des Schulwesens zum Aufbau und zur Verfestigung einer österreichischen Nationalstaatsideologie zu beleuchten. Das erfolgt über knapp 180 Seiten und in fünf inhaltlichen Kapiteln. Dass dies ein lohnendes Unterfangen und Forschungsfeld ist, ergibt sich nicht bloß aus gegenwärtigen politischen Tendenzen, sondern auch aus dem Umstand, dass diese Periode österreichischer (Schul-)Geschichte bislang in der Forschung kaum behandelt worden ist [1].

Die Einleitung (11-27) steckt zu Beginn das Themenfeld ab. Es wird erläutert, dass das Ende der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn im Herbst 1918 ein überschaubares Territorium – zuerst als Deutschösterreich, dann als Republik Österreich bezeichnet – hervorbrachte, das sich als „Nationalstaat“ erst entwerfen oder (er-)finden musste. In diesem Zusammenhang interessieren den Autor in seiner Studie die Forschungsfragen, „ob und wie Akteure der staatlichen Bildung (Fußnote 13 schließt private Bildungs- und Erziehungsangebote explizit aus; B.H.) vor allem beim Aufbau und in weiterer Folge der Festigung einer nationalstaatlichen Ideologie im Rahmen der Republik Österreich und des Bundesstaates Österreich zwischen der Entstehung 1918 und der Auflösung 1938 agierten.“ (13) Die anschließende Charakterisierung der Akteure staatlicher Bildung durch den Zusatz „politisch“ und die Eingrenzung auf ihre Strategien zur Beförderung distinkter nationaler Identität durch staatliche Beschulung ab 1918 lässt erwarten, dass bildungspolitische Akteure (bspw. als Personen- oder Netzwerkgeschichte formuliert) mit ihren schulischen Nationalisierungsbestrebungen im Zentrum der Dissertation stehen werden.

Die Nationalstaatlichkeit Österreichs ist der Idee der Siegermächte des Ersten Weltkrieges, besonders des Friedensvertrages von Saint Germain entsprungen, was auf wenig Resonanz in Österreich stieß, wo eher eine Vereinigung mit Deutschland angestrebt wurde. Und so ist zwar die These des Autors schlüssig, dass um 1918 das Konzept einer österreichischen Nation für die Betroffenen befremdlich war und u.a. bildungspolitisch implementiert werden sollte; aber wer Träger war bzw. wie die „kulturellen Vorstellungen und Ideologien in den Jahren 1918 bis 1938‘ (18) einer sich bildenden ‚österreich-nationalen Gesinnung“ hin zum „offensiv zur Schau getragenen Österreich-Patriotismus während der Kanzlerdiktatur Dollfuß-Schuschnigg (1933-1938)“ (ebd.) tradiert wurden, bleibt an dieser Stelle noch vage.

Das Kapitel 2 – Schule und Staat (27-85) – will „Bildung und Schule in Zusammenhang mit Politik- und Sozialgeschichte“ behandeln (27). Hier kommt es zur Rekapitulation von nicht weiter reflektierten „Schlüsselmomenten“ österreichischer Geschichte von 1918 bis 1938 und der Darstellung von Schul- und Lehrplanreformen der fokussierten Periode. Letztere werden in Volks-, Haupt- und Mittelschullehrpläne sowie LehrerInnenbildungsprogramme geteilt. Hierzu werden (schul-)politische Kompromisse skizziert und unter dem Punkt „Schul- und Lehrplanreformen“ zumindest einige bekannte Positionen wie z. B. die von Otto Glöckel genannt. Die erhellende Analyse der Lehrpläne für die Schulfächer Deutsch, Geschichte und Geographie im Kapitel wäre durch ein ausgearbeiteteres theoretisch-methodisches Instrumentarium noch überzeugender ausgefallen.

In Kapitel 3 (87-167) untersucht Gimpel in rekonstruktiven Fallstudien die Schulen, die den Mittelschullehrplänen (diese regelten in Österreich u.a. Gymnasien) zwischen 1918 und 1938 zugrunde lagen. Hierzu gehören das Schottengymnasium (der Benediktiner) in Wien, das Bundes-Gymnasium in Baden bei Wien, das Stiftsgymnasium (der Benediktiner) zu Melk, das Bundes-Real- und Obergymnasium in St. Pölten, das Bundes-Realgymnasium Linz, das Bundes-Realgymnasium Gmunden am Traunsee, das Bundes-Realgymnasium Fürstenfeld und das Gymnasium der Franziskaner in Hall in Tirol. Die Wahl der teils in kirchlicher Trägerschaft befindlichen Schulen, deren geographische Verteilung über österreichisches Staatsgebiet und vor allem die ausschließliche Fokussierung auf Gymnasien bleiben unbegründet, wo doch Kapitel 2 bereits interessante Einsichten in die Geschichte der Volksschulen und der LehrerInnenbildungsanstalten eröffnet hatte. Sie hier aufzunehmen, wäre auch dem Titel der Dissertation gerechter geworden. Kapitel 3 will vorrangig auf „Jahresberichte und Schulbücher“ (87) der genannten Gymnasien eingehen, die entsprechend der vorausgegangenen Abschnitte gesichtet werden sollen. Die Erwartung, auch Schulbuchanalysen anzutreffen, wird mit detaillierten Jahresberichtsdarstellungen unter besonderer Fokussierung auf Abschlussprüfungs- und Schreibaufgaben im Fach Deutsch kompensiert. Leider ist die Einengung auf Jahresberichte und das Fach Deutsch dann auch notgedrungen etwas unterkomplex. Zugegeben sind Homogenisierungen und Intensivierungen einer dennoch diffusen Österreichideologie bis in die späten 1930er auch im Schulwesen immer klarer hervorgetreten, dennoch scheinen manche argumentativen Schlüsse Gimpls wenig zwingend. So stehen beispielsweise wiederholt Franz Grillparzer und Ferdinand Raimund Pate für eine „staatlich verordnete Österreichideologie“ (120), die sich – so der Autor – in Prüfungsfragen zu den Autoren oder das schulische Feiern ihrer Geburts- oder Todestage äußern würde.

Im vorletzten Kapitel zu Schule und Nation (169-178) versucht Gimpl seine Argumentationsstränge aus den vorausgegangenen Abschnitten an eine internationale Nationalismusforschung im Sinne Benedict Andersons „Imagined Communities“ und Michael Billigs „Banal Nationalism“ anzuschließen, vor allem unter Referenz auf Daniel Tröhlers Arbeiten, der zugleich Betreuer dieser Dissertation war. Vor diesem theoretischen Hintergrund wird nachgezeichnet, wie sich der „Staat ohne Nation“ der 1920er Jahre über Schulbildung hin zu einem Nationalstaat in den 1930er Jahren entwickelt haben könnte, mit der ideologisch überfrachteten Vorstellung von „österreichischen“, als „besondere Deutsche“ (170) verstandenen Menschen.

Abschließend (179-183) zieht die Dissertation einige markante Schlüsse und erinnert die LeserInnen an gewinnbringende Erkenntnisse der Arbeit, beispielsweise die Bedeutungsverschiebungen und Gebrauchsveränderungen in Hinsicht auf zentrale Begriffe wie „Heimat“ und „Vaterland“. Das vorliegende Werk mitsamt seinen Fußnoten und zitierten Quellen ist eine Fundgrube an interessanten und erschreckenden Details im Schnittfeld von Schule und Nationalisierung. Dieses vernachlässigte, aber gegenwärtig drängende Thema aufgegriffen zu haben, ist das Verdienst der Dissertation von Florian Gimpl. Sie eröffnet eine Perspektive für notwendige und überfällige weitere Forschungsaufgaben.

Bernhard Hemetsberger (Klagenfurt)

[1] Vgl. zu bisherigen Studien, allerdings mit anderen inhaltlichen Schwerpunkten und divergierenden Periodisierungen: Thorpe, J. (2013). Education and the Austrofacist State. In F. Wenninger & L. Dreidemy (Hg.). Das Dollfuß/Schuschnigg-Regime 1933-1938. Vermessung eines Forschungsfeldes (S. 381-394). Böhlau.; Meissner, A. (2009). Die Nationalisierung der Volksschule. Geschichtspolitik im Niederen Schulwesen Preußens und des deutschsprachigen Österreich, 1866 bis 1933/38. Duncker & Humblot.

Zur Zitierweise der Rezension
Bernhard Hemetsberger (Klagenfurt): Rezension von: Florian Gimpl: Nation building in der Ersten Republik und der Kanzlerdiktatur 1918-1938. Eine Untersuchung zur Beziehung zwischen österreichischer Schule und Nationalstaatsideologie Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt 2024 (196 S; ISBN 978-3-7815-2631-0; 42,00 EUR). In: EWR 24 (2025), Nr. 3 (Veröffentlicht am: 20. November 2025), URL: https://ewrevue.de/2025/11/nation-building-in-der-ersten-republik-und-der-kanzlerdiktatur-1918-1938/