Vana Chiou/ Lotte Geunis/ Oliver Holz/ Nesrin Oruç Ertürk/ Justyna Ratkowska-Pasikowska/ Fiona Shelton

Contemporary Challenges in Education

Paradoxes and Illuminations
Münster/ New York: Waxmann 2023
(S. 552; ISBN 978-3-8309-4697-7; 60,70 EUR)

In der Reihe ‚Voices from the Classroom’ sind bisher drei Sammelbände erschienen, die jeweils aktuelle Bildungsthematiken und -problematiken in inhaltlicher Breite und fachlicher Tiefe in den Blick nehmen. Im Zuge dessen stehen insbesondere (angehende) Lehrpersonen als in der alltäglichen Bildungspraxis Verantwortliche im Fokus, aber auch Lernende – also Kindergartenkinder, Schüler*innen und Studierende – selbst. Der dritte Sammelband thematisiert ‚Contemporary Challenges in Education‘ und versammelt dabei internationale Perspektiven. Diese sind fünf Themenbereichen zugeordnet, auf die im Folgenden anhand ausgewählter Beiträge eingegangen wird.

Der erste Teil legt den Fokus auf Vor- und Grundschulbildung. Vor dem Hintergrund, dass insbesondere die Forschung mit jüngeren Kindern im Kindergarten- und Grundschulalter in Bezug auf geeignete Methodologien Herausforderungen birgt, werden hier erprobte und innovative Ansätze aufgezeigt. So beschäftigen sich z.B. Tatalović, Vorkapić und Anđić (80) mit Übergängen in der frühen Kindheit und arbeiten anhand von Interviews mit Handpuppen die Perspektiven der Kinder heraus, die auf positive Erfahrungen hinsichtlich Übergänge hindeuten. Zwar stellt der Artikel damit keine neuen Forschungsbefunde heraus, bildet aber neue Blickwinkel – nämlich die junger Kinder – ab. Insbesondere das Forschungsdesign von Rouvali und Riga (30) gilt es als innovativ hervorzuheben: Mit dem Fokus auf aktive Partizipation und emotionales Wohlbefinden von Vorschulkindern stehen die Stimmen der Schüler*innen selbst im Mittelpunkt. Neben klassischen Beobachtungen, Fragebögen und verschiedenen Interviewformaten haben die Schüler*innen die Möglichkeit erhalten, mit Digitalkameras ihre Lieblingsorte, -personen oder -aktivitäten festzuhalten und die Forschenden im Rahmen von Guided Tours herumzuführen. Durch abschließende Triangulation der Daten konnten die Wissenschaftler*innen einen umfangreichen Einblick in das Erleben der Vorschulkinder gewinnen und entsprechend abbilden. Bleibt zu hoffen, dass diese Ergebnisse zur Verstärkung einer kindzentrierten (Aus)Gestaltung frühkindlicher Bildungsorte beitragen und institutionelle Praktiken zu beeinflussen vermögen.

Der zweite Teil nimmt Themen im Bereich der Sekundarschulbildung in den Blick. So zeichnen Gari und andere (120) den Einfluss von Lehrpersoneneinschätzungen auf die Selbsteinschätzungen von Schüler*innen im Hinblick auf High Abilities/ Begabungen nach. Damit diskutieren die Autor*innen nicht nur die bedeutsame Rolle der Lehrpersonen, sondern berücksichtigen die Schüler*innen im Sample selbst – was in der Begabungsforschung mitunter eine Lücke darstellt. In der thematischen Auseinandersetzung mit Mobbing in der Schule wirft Słowik (189) ein Licht auf die Elternperspektive. Ein interessanter ‚Nebenbefund‘ dürfte darin liegen, dass allein Mütter an der Studie teilgenommen haben und Väter trotz direkter Ansprache nicht dafür gewonnen werden konnten. Die Autorin reflektiert dies unter Rückgriff auf weitere Studien und weist somit auf eine zu berücksichtigende Leerstelle in der empirischen Bildungsforschung mit Eltern hin.
Der dritte Teil greift in Bezug auf Hochschulbildung eine Bandbreite an Themen auf. Insbesondere Brook und andere (223) stoßen unter der Überschrift ‚Co-creation in Higher Education Milieus. From Concepts to Actions’ in eine Forschungslücke. In Form abgedruckter Interviewpassagen kommen sowohl etablierte Universitätsangehörige als auch Student Research Associates zu Wort und verweisen auf die Herausforderungen, aber auch die Chancen in Bezug auf Prozesse von Co-creation in der Hochschulbildung. Wünschenswert wäre, dass derlei Befunde auf hochschulpolitischer Ebene Gehör finden. Nuttall (332) dagegen setzt sich mit angehenden Lehrpersonen, die im Rahmen ihrer Abschlussarbeit forschend tätig sind, auseinander. Die Autorin legt entlang einer Fallstudie dar, inwiefern diese Doppelrolle mitunter das Potential einer krisenhaften Identitätsverschiebung birgt, sich aber durchaus positiv auf das pädagogische Wissen und Handeln von Lehrer*innen auswirkt. In der Lehrpersonenausbildung empfiehlt sich davon ausgehend, forschungsbezogene Reflexionsräume auszubauen, um pädagogische Praxiserfahrungen einordnen und (Erfahrungs-)Wissen nachhaltig vertiefen zu können.

Im vierten Teil stehen Diversität und Inklusion im Fokus. Im Zuge dessen thematisiert Geunis (427) ‚Youth Participation in Curriculum Development of Sexuality Education’. Während das (Nicht-)Gelingen von Jugendbeteiligung oft unerforscht bleibt bzw. nicht evaluiert wird, trifft das insbesondere auf Sexualerziehung zu. Geunis leistet somit einen wertvollen Beitrag, die politische Mitbestimmung junger Menschen evidenzbasiert weiterzuentwickeln, indem sie insbesondere die Diskrepanzen zwischen Rhetorik, Rechten und Realität herausarbeitet. Reynaert und Holz (450) betrachten ‚The Effectiveness of LGB Diversity Policies in Organizations‘, womit sie ein (gesellschafts-)politisch relevantes Thema aufgreifen. Durch den qualitativen Ansatz der Studie kommen in den Interviews verschiedene Personengruppen wie Diversitäts- and Inklusionspersonal, LGB- sowie heterosexuelle Arbeitnehmende selbst zu Wort. Die Triangulation der Daten weist schließlich auf den fortbestehenden Handlungsbedarf hinsichtlich queer-politischer Maßnahmen am Arbeitsplatz hin.

Der fünfte Teil legt den Fokus auf mit der COVID-19 Pandemie zusammenhängende Herausforderungen in der Bildung und beleuchtet verschiedene Themen, wie z.B. ‚Emotional Awareness and Positive Psychology’ von Kindern (478), ‘Teacher Emotions during the Pandemic’ (495) oder ‚Self-efficacy of University Students with and without Special Educational Needs and Disabilities during the COVID-19 Pandemic‘ (Tsibidaki, 505). Übergeordnet ist festzustellen, dass die Studien auf positive Emotionen und Perspektiven der untersuchten Personengruppen hinweisen. Ausschlaggebend hierfür dürfte der Erhebungszeitpunkt sein, da die Datenerhebungen im Rahmen der Studien unmittelbar zu Beginn der COVID-19 Pandemie durchgeführt wurden – Studien, die zu einem späteren Zeitpunkt realisiert wurden, zeigen jedoch durchaus davon abweichende Ergebnisse [1] [2]. Eine derart differenzierte und kritische Einordnung der Befunde sowie der Limitationen werden vermisst.

In Anbetracht, dass vielfältige internationale Perspektiven aufgezeigt werden, wäre wünschenswert gewesen, allen Beiträgen unmittelbar entnehmen zu können, auf welches Land/welche Länder sie sich beziehen, um insbesondere empirische Befunde einordnen zu können. Wenngleich der (erziehungs-)wissenschaftliche Mehrwert auf theoretischer Ebene in der Regel hinreichend aufgezeigt wird, bleibt der Mehrwert für die Bildungspraxis in einzelnen Beiträgen allein implizit herauszulesen – dies hätte klarer herausgearbeitet werden können. In der Gesamtschau ist die experimentelle Art der im Sammelband vorliegenden Artikel positiv hervorzuheben, die sich in erster Linie über die Methodenvielfalt der Beiträge eindrucksvoll ausdrückt. Zudem gelingt es entlang der Beiträge, den im Vorwort formulierten Anspruch, ‚diverse experiences‘ abzubilden, einzulösen. Denn: Obgleich nicht alle behandelten Themen neu sind, generieren die unterschiedlichen Perspektiven von Kindergartenkindern, (Vor)Schüler*innen und Studierenden durchaus neue Erkenntnisse. Da der vorliegende Sammelband thematisch äußerst breit gefächert ist, empfiehlt sich die ausgewählte Lektüre einzelner Beiträge – geeignet sowohl für Forschende als auch für Bildungspraktiker*innen.

Carolina Claus (Berlin)

[1] Budde, J., Lengyel, D., Böning, C., Claus, C., Weuster, N., Doden, K., & Schroedler, T. (Hrsg.). (2022). Schule in Distanz – Kindheit in Krise: Auswirkungen der Covid-19 Pandemie auf Wohlbefinden und Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen. Springer Fachmedien Wiesbaden. doi.org/10.1007/978-3-658-36942-2
[2] Engel De Abreu, P. M. J., Neumann, S., Wealer, C., Abreu, N., Coutinho Macedo, E., & Kirsch, C. (2021). Subjective Well-Being of Adolescents in Luxembourg, Germany, and Brazil During the COVID-19 Pandemic. Journal of Adolescent Health, 69(2), 211–218. doi.org/10.1016/j.jadohealth.2021.04.028

Zur Zitierweise der Rezension
: Rezension von: Vana Chiou/ Lotte Geunis/ Oliver Holz/ Nesrin Oruç Ertürk/ Justyna Ratkowska-Pasikowska/ Fiona Shelton: Contemporary Challenges in Education. Paradoxes and Illuminations Münster/ New York: Waxmann 2023 (S. 552; ISBN 978-3-8309-4697-7; 60,70 EUR). In: EWR 24 (2025), Nr. 4 (Veröffentlicht am: 20. November 2025), URL: https://ewrevue.de/2025/11/contemporary-challenges-in-education/