Zur Gestaltung von Lehrer-Schüler-Beziehungen in digital unterstützten Bildungsprozessen
Opladen: Verlag Barbara Budrich 2024
(161 S.; ISBN: 978-3-8474-3052-0; 44,90 EUR)
Das Buch von Christin Tellisch und Alexander C. Lang beschäftigt sich mit möglichen Auswirkungen digitaler Medien auf die pädagogische Beziehungsqualität im deutschen Bildungskontext. Dieses Thema ist von wachsender Relevanz, da digitale Medien zunehmend in den Unterricht integriert werden.
Die wesentliche Frage des Buches lautet, wie digitale Medien die pädagogische Beziehung beeinflussen. Es richtet sich insbesondere an pädagogische Fachkräfte in Schulen und bietet wertvolle Einblicke in Auswirkungen digitaler Medien auf die Lehrkraft-Schüler:innen-Interaktion im Lehr-Lern-Prozess. Im Mittelpunkt der Diskussion stehen die Ergebnisse einer Beobachtungsstudie aus dem Forschungsprojekt PaedBez [1], die in Teilen mit den Befunden und dem methodischen Rahmen der Beobachtungsstudie INTAKT (ohne Fokus auf digital unterstützte Lernprozesse) [2] verglichen werden, um Gemeinsamkeiten zu identifizieren. In der PaedBez-Studie (einschließlich Unterrichtsprotokollen, die auf digital unterstützten Lehr- und Lernprozessen in Schulkontexten basieren) lieferten die Beobachtenden persönliche Reflexionen und professionelle Kommentare, um ihr Verständnis der Interaktionen zu vertiefen. Neben der einführenden Theorie und empirischen Auseinandersetzung präsentiert das Buch auch praxisnahe Leitlinien für die Gestaltung pädagogischer Beziehungen in digitalen Lernumgebungen.
Basierend auf Beobachtungen, die das Recht junger Schüler:innen auf Anerkennung und Partizipation in der Schule in den Mittelpunkt stellen, wurden mittels einer qualitativ-quantitativen Inhaltsanalyse Bedingungen identifiziert, die erfolgreiche pädagogische Beziehungen fördern. Dabei wurden spezifische Szenen aus der komplexen schulischen Realität analysiert, um zentrale Einflussfaktoren herauszuarbeiten. Die Autor:innen betonen, dass die Studie nicht den Anspruch erhebt, eine Wirkungsstudie zu sein. Sie zielt nicht darauf ab, kausale Beziehungen zwischen Variablen zu messen oder nachzuweisen. Vielmehr konzentriert sich die Studie auf das Verständnis und die Interpretation pädagogischer Beziehungen in digitalen Lernumgebungen, ohne den Nachweis zu führen, dass digitale Medien direkt spezifische Veränderungen in der Qualität dieser Beziehungen bewirken. Die Ergebnisse beruhen auf einer umfassenden Analyse von Beobachtungen, die Interaktionen zwischen Schüler:innen und Lehrkräften sowohl im schulischen Alltag als auch in medienpädagogischen Kontexten abbilden. In diesem Zusammenhang wird Medienpädagogik als interdisziplinäres Forschungs- und Handlungsfeld verstanden, das sich unter anderem mit der Rolle von Medien in Bildungsprozessen auseinandersetzt und die Bedingungen untersucht, „unter denen digitale Medien zur Förderung von Lernprozessen eingesetzt werden können“ (10).
Der Band diskutiert zunächst die Herausforderungen und Perspektiven pädagogischer Beziehungen in der Schule und bettet diese Diskussion in den medienpädagogischen Diskurs ein (Kapitel 1). Anschließend wird der Zusammenhang zwischen pädagogischen Beziehungen und Menschenrechten, insbesondere der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der Kinderrechtskonvention, untersucht (Kapitel 2). Die Methodik der Beobachtungsstudie sowie die wichtigsten Ergebnisse zu pädagogischen Beziehungen in digital unterstützten Bildungsprozessen werden vorgestellt, einschließlich quantitativer Trends (Kapitel 3) und qualitativer Analysen (Kapitel 4). Die Methodik wird dabei ausführlich beschrieben und durch Abbildungen und Tabellen, die die in der Studie verwendeten Methoden und Instrumente veranschaulichen, gut unterstützt. Methodische Details und Daten sind aus Gründen der Transparenz auch in den Anhängen zu finden. Die quantitativen Ergebnisse werden anschließend diskutiert, gefolgt von den qualitativen Ergebnissen, wobei die Diskussion in den Kontext der Menschenrechte eingebettet wird, was eine wertvolle Perspektive darstellt. Diese qualitativen Analysen untersuchen Lehrmethoden, digitale Materialien und verschiedene Interaktionsqualitäten – ob anerkennend, schädigend oder ambivalent – und ermöglichen so ein tieferes Verständnis der Lehrkraft-Schüler:innen-Dynamik. Die Ergebnisse zeigen, wie verschiedene digitale Medien genutzt werden und welche Reaktionen und Auswirkungen diese Nutzung hat. Die Studie schließt mit praktischen Leitlinien zur Förderung positiver pädagogischer Beziehungen in digitalen Lernumgebungen (Kapitel 5) ab. Das Buch überzeugt durch eine klare Struktur, in der die Kapitel aufeinander aufbauen und empirische Befunde sowie praxisorientierte Leitlinien sinnvoll miteinander verknüpft sind.
In der Studie zeigt sich, dass digitale Medien zunehmend in den Unterricht integriert werden. Dabei können Lehrkräfte und Schüler:innen diese in den Schulen nutzen, ohne ihre persönlichen Beziehungen zu vernachlässigen, wenn sie deren Auswirkungen verstehen und verantwortungsbewusst damit umgehen. Eine unreflektierte Verwendung der digitalen Medien kann laut den Autor:innen hingegen zu einer Verringerung der pädagogischen Beziehungen führen. Lernmanagement-Systeme (LMS) und Online-Kommunikationsplattformen, die die Interaktion zwischen Lehrkräften und Schüler:innen erleichtern und die Zusammenarbeit im Klassenzimmer fördern können, können Beispiele für den effektiven Einsatz digitaler Medien in der Schule sein. Wenn Lehrkräfte in diesem Bereich gut ausgebildet und befähigt sind, können sie digitale Medien als Werkzeuge nutzen, um individualisierte Lernumgebungen zu schaffen und die Kommunikation zu verbessern. Dies könnte durch praktische Schulungen gefördert werden.
Während das Buch einige überzeugende Ergebnisse präsentiert, hätte es von einer vertieften Auseinandersetzung mit zugrundeliegenden Theorien und grundlegenden Konzepten zusätzlich profitiert. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Smartphones scheinen die pädagogische Beziehung eher negativ als positiv zu beeinflussen (75). Die Autor:innen stellen fest, dass die Lehrperson den Schüler:innen Vertrauen entgegenbringt, indem sie ihnen die Nutzung von Smartphones zu Lernzwecken erlaubt. Dieser Akt des Vertrauens kann sich positiv auf die pädagogische Beziehung auswirken, indem er das Verantwortungsbewusstsein und die Selbstständigkeit der Schüler:innen fördert. In der Diskussion wird jedoch auch ein ambivalentes Element eingeführt, das darauf hinweist, dass dieses Vertrauen zwar die Beziehung verbessern kann, aber auch die Gefahr besteht, dass Schüler:innen das Smartphone für andere Zwecke missbrauchen könnten. Für die Leser:innen wäre hier eine fundierte Auseinandersetzung mit Theorien hilfreich, um zugrunde liegende Mechanismen besser zu verstehen. Relevante Referenzen zu dieser Diskussion wären unter anderem Ansari et al. (2017) [3], Siebert (2019) [4] und Sahlström et al. (2019) [5].
Im letzten Kapitel des Buches sind die praktischen Richtlinien zur Förderung positiver pädagogischer Beziehungen in digitalen Lernumgebungen besonders interessant. Die Autor:innen plädieren für den Einsatz digitaler Medien in der Schule. Allerdings müssen Lehrer:innen und Schüler:innen lernen, diese verantwortungsvoll zu nutzen. Wenn sie dies tun, können Vertrauen, Offenheit und eine unterstützende persönliche sowie digitale Lernumgebung kultiviert werden. Wie dies erreicht werden kann, wird in der Tabelle ‚Handlungsempfehlungen für pädagogische Fachkräfte‘ (142-143) beschrieben. Diese Empfehlungen sind sehr praktisch und hilfreich für das Thema. Es wäre interessant zu sehen, wie effektiv und gültig sie nach der Umsetzung und Überprüfung sind.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Buch einen wertvollen Beitrag zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema leistet und neue Erkenntnisse liefert. Besonders hervorzuheben ist die prägnante Darstellung der praktischen Implikationen.
[1] PaedBez. (2024). PaedBez – Pädagogische Beziehungen in digital unterstützten Bildungsprozessen. BMBF-gefördertes Forschungsprojekt unter der Leitung von Prof. Dr. Christin Tellisch und Prof. Dr. Daniela Schlütz von 2020 bis 2024 [unveröffentlichter Datensatz] (Version 2023) [Beobachtungsprotokolle]. digi-ebf.de/PaedBez [01.04.2025].
[2] INTAKT. (2016). Projektnetz INTAKT – Soziale Interaktionen in pädagogischen Arbeitsfeldern. Projektleitung Prof. Dr. Annedore Prengel (Online-Fallarchiv Schulpädagogik) [Beobachtungsprotokolle]. Online-Fallarchiv Universität Kassel. fallarchiv.uni-kassel.de/projektdaten-INTAKT/INTAKTinformationen/ [01.04.2025].
[3] Anshari, M., Almunawar, M. N., Shahrill, M., Wicaksono, D. K., & Huda, M. (2017). Smartphones usage in the classrooms: Learning aid or interference? Education and Information technologies, 22, 3063-3079.
[4] Siebert, M. D. (2019). The Silent classroom: The Impact of smartphones and a social studies teacher’s response. The Social Studies, 110(3), 122-130.
[5] Sahlström, F., Tanner, M., & Olin-Scheller, C. (2019). Smartphones in classrooms: Reading, writing and talking in rapidly changing educational spaces. Learning, Culture and Social Interaction, 22, 311-331.