Martha Friedenthal-Haase

Fritz Borinski und die Bildung zur Demokratie

Geschichte eines Lebens zwischen Pädagogik und Politik
Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt 2023
(411 S.; ISBN: 978-3-7815-2568-9; 49,00 EUR)

In ihrer jüngsten Publikation widmet sich die emeritierte Prof.in Dr. Martha Friedenthal-Haase dem Leben und Werk Prof. Dr. Fritz Borinskis (1903-1988), einer Schlüsselfigur der Weimarer und Nachkriegszeit der deutschen Erwachsenenbildung. Friedenthal-Haases wertschätzende Darstellung verbindet Erinnerungen aus ihrer Freundschaft mit Borinski seit 1983 mit den Ergebnissen von über 30 Jahren akribischer Quellenarbeit und zeichnet chronologisch in größtem Detail das Wirken eines Menschen nach, der sich trotz widriger Lebensumstände seinen humanistischen Werten stets treu blieb und maßgeblich die Demokratiebildung in Nachkriegsdeutschland mitbestimmte.

Im ersten Teil des Buchs (1903-1934) werden die prägenden Einflüsse aus Borinskis Jugend dargelegt. Geboren in Berlin in einer politisch interessierten Familie mit jüdischen, vor der Ehe christlich konvertierten Eltern beeinflussten der frühe Tod des Vaters und die damit einhergehenden finanziellen Schwierigkeiten seine Berufsentscheidung für die Rechtswissenschaft. Erste Anschlüsse zur politischen Erwachsenenbildung fand Borinski bereits während seiner Studienzeit an den Universitäten in Leipzig, Jena und Halle, unter anderem in Seminaren von Hermann Heller. Auch wird in seiner Dissertation über Joseph Görres eine gewisse Idealisierung des Gemeinschaftslebens deutlich, die dabei auch erste Hinweise darauf gibt, dass der Fokus auf dem Gemeinschaftsleben in seiner späteren Tätigkeit eine wesentliche Rolle spielen wird. Nach seiner politikwissenschaftlichen Promotion im Jahr 1927 arbeitete Borinski als Lehrer zunächst an einem Leipziger Bildungswohnheim für junge Arbeiter und anschließend an der Heimvolkshochschule Sachsenburg. 1931 kehrte er an die Universität Leipzig zurück, um das von Theodor Litt gegründete ‚Seminar für Freies Volksbildungswesen‘ zu leiten. Von Einfluss waren für Borinski neben diesen Erfahrungen auch die Mitbegründung und Betreuung des Leuchtenbergkreises 1924, „eines politischen Kreises, der sich nichts Geringeres zum Ziel setzte als die Erhaltung und die soziale Weiterentwicklung der Weimarer Demokratie“ (26). Borinskis politisches Denken entwickelte sich in dieser Zeit von einem zunächst von Friedrich Naumann geprägten nationalistischen Liberalismus zu einem sozialdemokratischen Verständnis, das ihn 1928 zum Eintritt in die SPD bewegte. So festigten sich viele seiner lebenslangen Überzeugungen und Bindungen zu Bildung und Politik schon während der Weimarer Zeit.

In Folge der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Borinski die weitere Berufsausübung verwehrt. Zusammen mit dem Juristen Wolfgang Friedmann beteiligte er sich an der Organisation eines von den Quäkern getragenen internationalen Wohnprojekts, wodurch ihm im April 1934 die Ausreise nach England ermöglicht wurde. Friedmann hatte ihn gezielt für das Projekt gewonnen, da Borinski mit seinen Erfahrungen als „Mann der residentiellen Pädagogik“ (84) einen Beitrag zum Gelingen des Zusammenlebens in der Wohngemeinschaft leisten konnte.

Der zweite Teil der Veröffentlichung (1934-1947) konzentriert sich auf sein Leben im Exil, zunächst als geduldeter Flüchtling ohne Arbeitserlaubnis. In dieser Zeit begann er inoffiziell an der London School of Economics and Political Science zu studieren und plante eine weitere Promotion unter der Betreuung von Karl Mannheim. Nach Kriegsbeginn wurde er jedoch als ‚Enemy Alien‘ in Australien interniert. Trotz der widrigen Umstände ließ er sich in seiner Entwicklung als Pädagoge nicht beirren: Selbst in dieser Notsituation fasste er den Entschluss, sich als Leiter der Lagerschule zu engagieren. Ende 1941 durfte er als anerkannter Asylsuchender mit Arbeitserlaubnis nach London zurückkehren. In dieser Zeit fand er sich mit Gleichgesinnten zusammen, die wie er von der Notwendigkeit demokratischer Bildungsarbeit im Nachkriegsdeutschland überzeugt waren. So beteiligte er sich an der britischen NGO German Educational Reconstruction, in deren Rahmen er seine Weiße Liste erstellte und Empfehlungen für die zukünftige demokratische Bildung in Deutschland entwickelte. Kurz nach Kriegsende bekam Borinski durch seine Lehrtätigkeit mit deutschen Kriegsgefangenen im Umerziehungslager ‚Wilton Park‘ die Möglichkeit, demokratische Aufklärungsarbeit selbst mitzugestalten. Bemerkenswert ist, dass Borinski seine Forschungs-, Lehr, und Schreibtätigkeit im Exil ohne Unterbrechung fortsetzte. Hier liegt ein besonderer Erkenntnisgewinn der Veröffentlichung von Friedenthal-Haase für die Leserschaft: die Auseinandersetzung mit bislang unveröffentlichten Texten, z.B. seiner unauffindbaren, als weitere Dissertation geplante Gegenüberstellung der politischen Positionen von Carl Schmitt und Hermann Heller. Der Autorin ist es auch zu verdanken, dass ein Werk von ihm aus seiner Exilzeit, The German Volkshochschule, durch ein posthumes Erscheinen eine breite Öffentlichkeit erfahren hat.

Im dritten Teil (1947-1970) zeichnet Friedenthal-Haase die beruflichen Stationen Borinskis nach seiner Rückkehr in sein Heimatland nach – eine Rückkehr, die angesichts des tragischen Verlusts seiner Mutter in einem Konzentrationslager von einer im Nachhinein kaum nachvollziehbaren Treue zu Deutschland zeugt. Seine über die Jahre im Exil hinweg ersehnte Heimkehr konnte er erst 1947 mit Hilfe des damaligen niedersächsischen Kultusministers Adolf Grimme verwirklichen, der ihm die Stelle als Leiter der Heimvolkshochschule Jagdschloss Göhrde sicherte. In Göhrde setzte Borinski seine in London begonnene politische Bildungsarbeit fort und arbeitete konzeptionell an Ideen für die zukünftige Professionalisierung und Akademisierung der Erwachsenenbildung, teils in Zusammenarbeit mit den Pädagogen Hermann Nohl und Erich Weniger an der Universität Göttingen. Parallel dazu schrieb er sein als Habilitation geplantes Werk ‚Der Weg zum Mitbürger‘, das sein Konzept für politische Bildung darlegt und noch heute relevante Anregungen für eine auf ‚Integrationsfähigkeit‘ zielende demokratische Bildungsarbeit enthält. Dieser Station folgte eine Phase als Leitung der Volkshochschule Bremen von 1954 bis 1956, in Anerkennung seines jahrelangen Engagements in der Lehre wurde er im Anschluss auf den Lehrstuhl für Pädagogik an der Freien Universität Berlin berufen. In den 1950er und 1960er Jahren engagierte er sich zudem bildungspolitisch als Gutachter im Rahmen des ‚Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen‘.

Der vierte Teil des Buches (1970-1988) strahlt durch die Darstellung der persönlichen Verbindung von Friedenthal-Haase zu Borinski eine besondere Wärme aus. In dieser Zeit lernte sie ihn persönlich kennen, durfte ihn auf Konferenzen begleiten und wurde eine enge Vertraute von ihm und seiner Frau Maja Kahn. In den letzten Kapiteln beschreibt Friedenthal-Haase sein nachhaltiges Wirken und den starken Einfluss, den er auf die Menschen hatte, mit denen er zusammenarbeitete. Auch das sorgfältig ausgewählte Bildmaterial zeugt von einem tiefen Eindruck, den er bei der Autorin und anderen hinterlassen hat.

Borinski vermochte es intuitiv, vermeintliche Gegensätze in Einklang zu bringen und Brücken zwischen unterschiedlichen Welten zu schlagen: Er war Christ mit jüdischen Wurzeln sowie ein jugendbewegter Sozialdemokrat mit tiefer – aber keineswegs rassistisch konnotierter – Nationalgesinnung, der sein politisches Denken mit pädagogischem Handeln zu verbinden wusste. Friedenthal-Haase gelingt es mit ihrem einladenden Schreibstil und ihren fundierten Kenntnissen des Quellenmaterials Borinskis inspirierende Biografie für ein breites Publikum zugänglich zu machen. Insbesondere in einer Zeit, in der sowohl antidemokratische als auch antisemitische Einstellungen besorgniserregend zunehmen, ist die Lektüre über die Entwicklung Borinskis humanistischer Prinzipien und deren Einbettung in seine Lebenserfahrung leider erschreckend aktuell und dient als mutiges Vorbild, gesellschaftlichen Spannungen und Spaltungstendenzen zu begegnen. Friedenthal-Haase sorgt mit ihrer anerkennenden Arbeit dafür, dass Borinskis Andenken weiterlebt und sein Wirken und seine Persönlichkeit einen würdigen Platz in der disziplinären Historiographie der Erwachsenenbildung einnehmen.

Zur Zitierweise der Rezension
Francesca Baker (Tübingen): Rezension von: Martha Friedenthal-Haase: Fritz Borinski und die Bildung zur Demokratie. Geschichte eines Lebens zwischen Pädagogik und Politik. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt 2023 (411 S.; ISBN: 978-3-7815-2568-9; 49,00 EUR). In: EWR 24 (2025), Nr. 2 (Veröffentlicht am: 29. April 2025), URL: https://ewrevue.de/2025/04/fritz-borinski-und-die-bildung-zur-demokratie/