Rita Casale

Einführung in die Erziehungs- und Bildungsphilosophie

Paderborn/Stuttgart: Brill/Schöningh/UTB 2022
(158 S.; ISBN: 978-3-8252-5257-1; 20,00 EUR)

Der vorliegende Band „Einführung in die Erziehungs- und Bildungsphilosophie“ basiert auf der zwischen 2009 und 2019 von Rita Casale durchgeführten Einführungsvorlesung für Studierende im Erstsemester des Bachelor-Studiengangs Erziehungswissenschaft [1] an der Bergischen Universität Wuppertal (9). Laut Autorin dient der Band einem dreifachen Ziel: Erstens, die historischen Zusammenhänge der Disziplin darzulegen, „zweitens die Begriffe von Erziehung und Bildung mit dem Sachgebiet der Pädagogik in Bezug zu setzen“ und zuletzt, Gelegenheiten zur Reflexion von „Erwartungen und Erfahrungen“ an und mit diesen Begriffen zu ermöglichen (9f.).

Casale gliedert ihr Einführungswerk in sechs Kapitel. Am Ende eines jeden Kapitels finden sich von Casale formulierte inhaltliche Fragestellungen, deren Antworten sich im Anhang des Buches finden lassen. Im Anschluss an diese Wiederholungsfragen befindet sich für jedes Kapitel eine Sammlung an weiterführender Literatur. Diese Ergänzung ist für die Zielgruppe besonders sinnvoll gestaltet, da jede Literaturangabe neben dem Titel und dem/der AutorIn, Informationen über Inhalt und Relevanz der empfohlenen Texte enthält. Die klare Gliederung des Bandes und die auf Unterstützung angelegte inhaltliche Strukturierung der Kapitel werden ergänzt durch eine für Studierende sinnvolle formale Struktur, die sich z.B. durch das Einfügen von Marginalien mit relevanten Begriffen zeigt.

Im ersten Kapitel „Was ist Philosophie?“ beschreibt die Autorin im Anschluss an Gilles Deleuze und Félix Guattari das Verhältnis von Philosophie und Freundschaft (15f.). Philosophieren ließe sich als „Gespräch mit dem Fremden“ beschreiben, begleitet von der Hoffnung auf Resonanz (16). Im Folgenden beschreibt die Autorin das Verhältnis zwischen Philosophie und Erziehung/Bildung auf dreifache Weise: Erstens als „gegenständliches Verhältnis“, bei dem Bildung und Erziehung als zu analysierende Gegenstände dienen (18). Zweitens als „intrinsische Beziehung“, in der die Philosophie selbst „erzieht und bildet“, und drittens als wechselseitige Beziehung (ebd.). Im weiteren Verlauf setzt sich die Autorin einerseits mit Begriffen wie u.a. Zeitlichkeit, Intensität oder Geschichtlichkeit auseinander, andererseits stehen der Begriff, die Begriffsbildung selbst und die Bedeutung von Begriffskonstellationen im Fokus. Diese Propädeutik ist sinnvoll strukturiert und nachvollziehbar gestaltet.

Das zweite Kapitel „Erziehung als Grundbegriff“ beginnt mit einer historischen Kontextualisierung des Erziehungsbegriffs als einem aufklärerischen Begriff. In diesem Kontext sei „die Aufklärung vor allem als ein politisches, philosophisches und pädagogisches Projekt zu verstehen“ (37). Im Anschluss werden relevante Momente erziehungswissenschaftlichen Denkens dargestellt, u.a. die Idee der Autonomie, die Dialektik von Freiheit und Zwang oder Autorität als generationale Differenz. Im Mittelpunkt der Ausführungen stehen dabei die Überlegungen Kants, auf die die Autorin sich immer wieder bezieht. Andere Autoren wie Rousseau oder Schleiermacher werden an entsprechenden Stellen ebenfalls thematisiert. Diese Fokussierung ist mit Blick auf die Zielgruppe dieses Einführungswerkes aus didaktischer Perspektive nachvollziehbar und sinnvoll. Den Abschluss des zweiten Kapitels bilden Überlegungen zum „doppelte[n] Erbe der Aufklärung“ (58f.). Die Autorin beschreibt die Ambivalenz des Erbes der Aufklärung u.a. mit Horkheimer und Adorno (59f.). Ihr gelingt es an dieser Stelle, wichtige historische Zusammenhänge und Motive klar und nachvollziehbar darzustellen.

Dem Aufbau des zweiten Kapitels folgend, beginnt das dritte Kapitel „Krise der Erziehung?“ ebenfalls mit der Darstellung der historischen Bedingtheit einer krisenhaften „Gesellschaft ohne Erwachsene“, bei der das Erwachsensein als spezifische Form der Subjektivierung verstanden wird (63). Für die Argumentation dieser These greift sie auf die Konzepte der Mündigkeit und der Verantwortung im Kontext des Generationenverhältnisses zurück, u.a. im Anschluss an Schleiermacher. „Stellt Mündigkeit den Hauptbegriff der Aufklärung dar, äußert sich die Krise dieses politischen, philosophischen und pädagogischen Projekts in der Infragestellung der Bedingungen seines Erziehungsverständnisses“, beginnt Casale dieses Kapitel (63). Im weiteren problematisiert Casale das Generationenverhältnis im Kontext (aktueller) gesellschaftlicher Veränderungen, u.a. der „Verantwortungsverweigerung der Erwachsenen“ (66), die sie als „symptomatisch für eine tiefe Krise der Erziehung“ (66) deutet und sich beispielsweise als Verlust der autoritären Vaterfigur und als feministische Revolution des Privaten und des Öffentlichen zeigt. Die Texte Hannah Arendts bilden in diesem Kapitel einen kontinuierlichen Ankerpunkt in den Ausführungen der Autorin.

Das vierte Kapitel „Bildung als Grundbegriff“ spiegelt ebenfalls den Aufbau des zweiten Kapitels. Es beginnt mit der Analyse der historischen Konstellation von Aufklärung und französischer Revolution und ihrer Relevanz für die Prägung des Bildungsbegriffs. Unter Einbeziehung von Kant, Schiller und Humboldt beschreibt Casale einerseits Grundmomente bildungstheoretischen Denkens, z.B. in Humboldts Verständnis von Bildung als vermitteltes Wechselverhältnis von Ich und Welt (92f.) oder in Fichtes spezifischem Verständnis von Bildsamkeit als „anthropologische Bedingung“ des Menschen (92f.) und damit als (neu-)humanistischer Dualismus von Mensch und Tier. Andererseits gelingt es ihr, die komplexen Verstrickungen des Bildungsbegriffs zu verdeutlichen, zum Beispiel die Verwobenheit von politischen Ideen mit Bildungsvorstellungen bei Humboldt (96f.) oder die Bedeutung der Universität als Bildungsinstitution im Konflikt zwischen Staat und Autonomie der Wissenschaft (102f.).

Casale führt im fünften Kapitel „Krise des Bildungsbegriffs?“, Problematisierungen des Bildungsbegriffs einführend auf, beispielsweise anhand der Transformationen der Universitäten angesichts einer „Technokratisierung der Autorität“ oder des „informatisierten Wissens“ (117f.). Eine profundere und erweiterte Analyse der Krisenhaftigkeit des Bildungsbegriffs durch die Autorin wäre an dieser Stelle von großem Interesse gewesen, in Anbetracht der Zielgruppe dieses Bandes ist der durch die Autorin gewählte Zugang jedoch nachvollziehbar und angemessen.

Im sechsten und letzten Kapitel greift Casale die von ihr „gesponnenen Fäden“ (125) erneut auf. Dabei prüft sie einerseits die von ihr im Vorwort formulierten Ziele des Buches. Andererseits rekapituliert die Autorin jedes ihrer Kapitel und die von ihr thematisierten Inhalte. Dieses Vorgehen ist für Studierende hilfreich und zeigt beispielhaft, dass dieser Band aufgrund jahrelanger Erfahrungen in der universitären Lehre entstanden ist und auf die Bedürfnisse der Studierenden erfolgreich angepasst wurde (11).

Die mit dem Titel beanspruchte „Einführung in die Erziehungs- und Bildungsphilosophie“ lässt sich als sehr gelungen bezeichnen. Durch ihre sprachliche und formale Klarheit und Strukturiertheit veranschaulicht und problematisiert Rita Casale nachvollziehbar wichtige Begriffe, Motive sowie historische und ideengeschichtliche Zusammenhänge. Die Widersprüchlichkeit und Komplexität einiger durch die Autorin thematisierter Begriffe scheint sie zugunsten von Klarheit und Nachvollziehbarkeit im Sinne der Zielgruppe eingegrenzt zu haben. Dies zeigt sich beispielsweise an der Thematisierung eines anthropozentrischen Begriffs der Bildsamkeit, der im Anschluss an Fichte als kategoriale Differenzierung von Mensch und Tier angeführt wird (44f.). Ein Einführungswerk, das seine Zielgruppe jedoch nicht durch Ambiguität irritieren möchte, profitiert davon, einen reduzierten Ausschnitt eines vielschichtigen und fortlaufenden Diskurses aufzuzeigen. Aufgrund der gelungenen didaktischen Reduktion komplexer Sachverhalte durch die Autorin ist dieser Band für die Zielgruppe der Studierenden sehr empfehlenswert.

[1] Der Studiengang trägt erst seit 2014 den Namen ‚Erziehungswissenschaft‘, vorher hieß er ‚Pädagogik‘.

Zur Zitierweise der Rezension
Nina Kühn (Karlsruhe): Rezension von: Rita Casale: Einführung in die Erziehungs- und Bildungsphilosophie. Paderborn/Stuttgart: Brill/Schöningh/UTB 2022 (158 S.; ISBN: 978-3-8252-5257-1; 20,00 EUR). In: EWR 23 (2024), Nr. 3 (Veröffentlicht am: 14. August 2024), URL: https://ewrevue.de/2024/08/einfuehrung-in-die-erziehungs-und-bildungsphilosophie/