Wiesbaden: Springer VS 2021
(156 S.; ISBN: 978-3-658-35708-5; 22,99 EUR)
Schulpädagogik als Wissenschaftsdisziplin in der Lehrer*innenbildung vermochte sich vor allem in den 1960er Jahren an den Pädagogischen Hochschulen zu etablieren und erfuhr mit der Eingliederung der Pädagogischen Hochschulen in Universitäten eine wissenschaftliche Aufwertung. Inwiefern die Schulpädagogik aber den Kriterien für eine wissenschaftliche Disziplin genügt, ist Gegenstand eines länger währenden Diskurses, die den Ausgangspunkt der Publikation bildet: Die seither geführte Diskussion um Gestalt, Aufgaben, Ansprüche und Leistungen der Schulpädagogik bringt für Martin Rothland mehr kritische Fragen als tragfähige Antworten hervor, die er in seiner 2021 erschienenen Monografie „Disziplin oder Profession: Was ist Schulpädagogik?“ durchleuchtet: Zur Beantwortung seiner Titelfrage setzt er nicht an den Lehrinhalten und Forschungsthemen an (auch wenn diese im dritten Kapitel gestreift werden), „sondern an den ‚Beschreibungen‘ von Schulpädagogik (…) und der kritischen ‚Reflexion der Voraussetzungen‘, die diesen Beschreibungen notwendigerweise zu Grunde liegen“ (3). Rothland dekonstruiert den Gegenstand penibel in drei Kapiteln und legt anschließend einen Vorschlag zur Lösung des Problems der fehlenden kognitiven Spezifität der Schulpädagogik vor (Kapitel 4).
Im ersten Kapitel ‚Was ist Schulpädagogik?‘ begründet der Autor seine Leitfrage. Die bisherigen und zahlreichen Antworten in Einführungen, Lehr- und Studienbüchern, Lexikon- und Handbuchartikeln scheinen ihm nicht zureichend und eher „oberflächlich Konsens stiftende Beschreibungen“ (2), die dem Autor zufolge weder wissenschaftlich überzeugend noch empirisch gut begründet sind.
Im zweiten Kapitel fragt er nach den „im neueren Diskurs geläufige[n] Bestimmungen“ (33) von Schulpädagogik und stellt die Frage, ob sie als wissenschaftliche Sub-, Teil- oder Bereichsdisziplin beschrieben werden kann. In den tiefen Ausführungen, deren Lektüre lohnt, die aber hier nicht wiedergegeben werden können, arbeitet Rothland heraus, dass sich die Schulpädagogik als Profession entwerfe und damit die Anforderungen an eine wissenschaftliche Disziplin verfehle. Schulpädagogik konstituiere sich demgemäß in der selbst gegebenen Aufgabe, für die Praxis nützlich zu sein. In der Verquickung von Disziplin und Profession und von Theorie und Praxis sieht der Autor das Alleinstellungsmerkmal der Schulpädagogik gegeben und konzediert, dass sie damit nicht anschlussfähig an das Wissenschaftssystem sei, weil sie sich außerhalb des Wissenschaftssystems – in Praxis und Profession – verankere.
Das dritte Kapitel diskutiert die Fragestellung des Titels mit Bezug auf das Personal in der Schulpädagogik und ihren Themen und Gegenständen. Zuerst greift Rothland das Schulpraxiserfordernis auf, das seit 2004 zwar nicht mehr im Hochschulrahmengesetz des Bundes steht, bislang aber nur in Nordrhein-Westfalen gestrichen wurde. Er schließt nach informativen Ausführungen die Frage an, ob dieses Erfordernis noch Sinn macht, oder eher dazu führt, die Lehrer:innenbildung an Universitäten und Pädagogischen Hochschulen ihres wissenschaftlichen Anspruchs zu berauben und sie schon dadurch zu einer „Meisterlehre“ (100) zu degradieren. Der zweite Teil des Kapitels wendet sich – und dies recht knapp wie eingangs skizziert – den inhaltlichen Gegenständen zu: Womit soll sich die Schulpädagogik befassen? Hier referiert der Autor Entwürfe von Dietrich Benner, Rudolf Keck und Dieter Lenzen, sieht aber letztlich vor dem Hintergrund der ausgewiesenen Breite, in welcher eine Abgrenzung zu bildungssoziologischen und pädagogisch-psychologischen Zugängen schwerlich möglich ist, seine Kernthese bestätigt: „Über die angeführten Gegenstandsbereiche scheint die subdisziplinspezifische Sichtweise (…) nicht fassbar, zumal die Bestimmungen in ihrer Vielzahl, Heterogenität und bezogen auf ihren Umfang zuweilen beliebig erscheinen“ (108).
Insgesamt wird in den äußerst literaturfundierten Durchgängen der beiden Hauptkapitel des Bestimmungsversuchs von Rothland herausgearbeitet, dass die Schulpädagogik erstens den Anforderungen an eine wissenschaftliche ‚Disziplin‘ kaum entspräche und dies weder unter Rekurs auf disziplinspezifische Merkmale noch im Hinblick auf ihre Gegenstände, zweitens sie nur schwerlich als ‚Vermittlungs- und Integrationswissenschaft angesehen werden kann‘, weil sie sich eher vom Bildungsauftrag der Schule (also der Profession) her konstituiert und drittens schon gar nicht als ‚Berufswissenschaft‘ der Lehrkräfte fungieren könne. Im Kern fehlt ihr die kognitive Spezifität, die eine Disziplin konstituiert.
Kam die bisherige Argumentation so einer durchaus wohlbegründeten und scharfen Dekonstruktion der Schulpädagogik gleich, so wartet Rothland im vierten Kapitel mit einem überraschenden Wurf auf: Er legt selbst einen Vorschlag zu einer möglichen kognitiven Spezifität vor und sieht diese im Zusammenspiel von Allgemeiner Didaktik und Unterrichtsforschung gegeben (die auch zugleich die Denomination seiner Professur in Münster darstellen und die durchaus in einem konkurrierenden Spannungsverhältnis stehen). Diese Gedankenfigur begründet er nachfolgend umfassend. Ausführliche Verhältnisbestimmungen münden in die Frage, wie beide – die Allgemeine Didaktik und empirische Unterrichtsforschung – als Teilgebiete der Schulpädagogik auszuweisen seien? Er erkennt für die Allgemeine Didaktik zu ihrem Theorie- und Empirieproblem zusätzlich auch ein Reflexionsproblem dahingehend, als sie die Voraussetzungen des Unterrichts nicht zureichend betrachtet. Gerade aber das böte die Möglichkeit, die Allgemeine Didaktik als Reflexionsinstanz zu konzeptualisieren und sie in der Funktion von Relativierung und Kontrolle einzubinden. Er argumentiert: „Im Zusammenspiel von Allgemeiner Didaktik und Unterrichtsforschung im Sinne der schulpädagogischen Kombination der Perspektiven auf good und effective teaching könnte die Grenze der empirisch-quantitativen Unterrichtsforschung überwunden werden (…)“ (142), was er zusätzlich mit einem grafischen Modell unterstreicht. Damit ist für ihn die kognitive Spezifität gefunden: Spezifisch ‚schulpädagogisch‘, so die Quintessenz der vorgestellten Überlegungen, wird Unterrichtsforschung durch eine schultheoretische Rahmung und in Kombination mit den für schulischen Unterricht konstitutiven, unhintergehbaren normativen Problemstellungen der Allgemeinen Didaktik.
Rothlands Buch ist ein literaturfundiertes und argumentativ tiefes Buches geworden, das nicht nur schonungslos die fehlende kognitive Spezifität der Schulpädagogik offenlegt und damit ihre Konstitution als Wissenschaftsdisziplin in Frage stellt, sondern – und das ist äußerst bemerkenswert – darüber hinausgeht und in der Verbindung von Allgemeiner Didaktik und Empirischer Unterrichtsforschung einen begründeten Vorschlag für die ausgewiesene Leerstelle auf der Unterrichtsebene unterbreitet. Die Ausführungen stellen eine laterale Beschäftigung mit der Diskussion dar und werden deshalb zurecht vom Autor als Beitrag zur Grundlagenforschung verstanden, die es ermöglichen, die Diskussion um die Konstitution der Wissenschaftsdisziplin Schulpädagogik auf einer theoretisch und empirisch höheren Ebene zu führen, die über den oberflächigen Konsens weit hinausreichen. Die sehr gründliche Argumentation legt den Finger auf offene Wunden und stellt auch dem Rezensenten, der hier nicht als Experte, sondern nur als Interessent urteilen kann, manche Denkaufgabe. Die Publikation sei deshalb insbesondere allen Lehrstuhlinhaber:innen der Schulpädagogik zur Lektüre wärmstens empfohlen – auch als Lektüre für die vielfach auszubringenden Vorlesungen ‚Einführung in die Schulpädagogik‘.
Wenngleich der Auffassung des Autors aufgrund der vorgebrachten Argumente gut zu folgen ist, bleibt zu fragen, ob die in den Ausführungen vertretene Konfrontationsstellung zur Praxis nicht zu einem Selbstentwurf der Schulpädagogik führt, welche gleichsam die Gefahr in sich birgt, die völlige Delegitimierung im Elfenbeinturm der Wissenschaft zu erfahren, weil ihr auf die Profession zielender Beitrag für angehende Lehrer:innen kaum mehr ersichtlich scheint.
Zum tieferen Verständnis der Argumentation sind dem Buch zwölf wichtige Exkurse beigegeben, die auf blauem Hintergrund abgedruckt sind (z.B. Gegenstimmen zur Erfolgsgeschichte, Disziplin und Profession, Mythos wissenschaftlicher Rationalität u.a.m.). Sie geben den geneigten Leser:innen äußerst wichtige Hintergrundinformationen zu den Kontexten und bisherigen Positionen, bergen aber zugleich die Gefahr, die fundierten Argumentationslinien etwas aus dem Blick zu verlieren. Hilfreich wäre es deshalb gewesen, die Kernaussagen der drei aufeinander aufbauenden Kapitel an ihrem Ende nochmals deutlicher zu bündeln und ohne Rekurs auf weitere Literatur herauszuheben.