The Pedagogical Preparation for Collective Mass Violence
Paderborn: Brill Schöningh 2022
(406 S.; ISBN: 978-3-506-79196-2; 129,00 EUR)
Der von Sebastian Engelmann, Bernhard Hemetsberger und Frank Jacob herausgegebene Band widmet sich mit der Verflechtung von Krieg und Bildung einem hochkomplexen Thema, das spätestens seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wieder enorm an Aktualität gewonnen hat. Schließlich sind Bildung und Erziehung auch während eines militärischen Konfliktes von grundlegender Bedeutung für die Lernenden und Lehrenden, können doch Schulen und Universitäten über den Unterricht hinaus einen sicheren Raum bieten, in dem Routinen vermittelt und lebensrettende Ressourcen wie Mahlzeiten und psychologische Hilfe bereitgestellt werden. Man kann also nur erahnen, was es für die ukrainische Bevölkerung bedeutet, wenn seit Kriegsbeginn etwa 1.800 Bildungseinrichtungen entweder beschädigt oder zerstört worden sind. Aber auch darüber hinaus kommt dem Thema eine erhebliche Bedeutung zu, wie der US-amerikanische Erziehungswissenschaftler Thomas Woody nur wenige Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in einem Aufsatz zur Verbindung von Krieg und Erziehung im 18. Jahrhundert darlegte: „War is an instrument of the national state; education, as an instrument of the national will, has been made a psychological preparative for the ultimate test of war.” [1]
Obgleich die Herausgeber nicht auf Woodys Analyse rekurrieren, lassen sich doch Parallelen erkennen, die deutlich machen, wie stark Bildung und Krieg vor, während und nach einem militärischen Konflikt zusammenhängen und einander bedingen. Mit Blick auf das im Band fokussierte 20. Jahrhundert betonen die Herausgeber, dass beide Faktoren eng miteinander verflochten waren, sich gegenseitig beeinflussten und zu kombinierten Fragestellungen einladen: Als gesellschaftliche Funktion und wichtiges Bindeglied zwischen den Generationen wird Bildung immer von der jeweiligen Zeit geprägt, von Ideologien geformt und natürlich von Menschen realisiert, die selbst unter diesen spezifischen Bedingungen erzogen wurden.
Um einen monokausalen Erklärungsansatz für die interessen-, spannungs- und konfliktreiche Verflechtung von Krieg und Bildung auszuschließen, haben sich die Herausgeber für einen breiten geografischen und zeitlichen Zuschnitt entschieden. Neben mehreren europäischen Staaten wie Dänemark, Deutschland, Österreich, Polen und Schweden dienen auch die USA sowie China und Japan als Untersuchungsräume für die einzelnen Fallstudien, wodurch die Beziehung von Krieg und Bildung gleichsam als globales Phänomen deutlich wird. Mit der Wahl des 20. Jahrhunderts kommt dem Band ferner der Umstand zugute, dass die Autor:innen in ihren Analysen nicht nur die naheliegenden „hot“, sondern auch die ebenso dynamischen „cold wars“ betrachten können.
Als ordnender Rahmen fungieren weiterhin drei Sektionen, die zentralen Bereichen gewidmet sind und den Band inhaltlich strukturieren. Direkt an die Einleitung anschließend befassen sich die Autor:innen der ersten Sektion mit dem Schwerpunkt „Education for War“. Mithilfe dieses erzieherischen Ansatzes sollte in erster Linie die Bereitschaft zum Töten und die Akzeptanz, auch das eigene Leben zu riskieren, vermittelt werden. Daneben gehörten die Bewältigung der kriegsbedingten Folgen, die Einigung bestimmter Gruppen und die Konstruktion von Feindbildern zu diesem Bildungskonzept. Schließlich muss sowohl die Bereitschaft, an dem Krieg teilzunehmen, als auch die Überzeugung, dieser sei gerechtfertigt, dauerhaft geweckt, angeregt, vermittelt, popularisiert, vertieft und aufrechterhalten werden. Dabei bleibt freilich zu betonen, dass ein solches Bildungsmodell nicht nur auf einen zeitgenössischen Konflikt ausgerichtet sein muss, sondern auch dem Ziel dienen kann, künftige Generationen mit dem Blutvergießen vertraut zu machen.
In ihren Analysen befassen sich die vier Beiträger:innen mit ganz unterschiedlichen Aspekten: Während Mette Burchardt die Verbindung von Krieg und Bildung als Schlüsselelement für das Verständnis der Entstehung des Kulturprotestantismus in Skandinavien untersucht, widmet sich Andreas Dorrer dem Zusammenschluss der beiden Faktoren im Kinder- und Jugendtheater des deutschen Kaiserreichs. Manfred Heinemanns Beitrag nimmt dagegen die Pläne der britischen Besatzungsmacht zur Re-Education der deutschen Bevölkerung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in den Blick. Den Abschluss der Sektion markiert der Beitrag von Bernhard Hemetsberger und Katharina Thyri, der ausgehend vom sogenannten „Sputnik Schock“ die amerikanischen Debatten zur Schulbildung und pädagogischen Ausgestaltung des Unterrichts untersucht. Vor dem Hintergrund einer Erziehungs- und Bildungsdebatte wurden in der Folge Reformen vorangetrieben und politische Agenden umgesetzt, die auf eine Vereinheitlichung des Schulwesens, der Ausbildung von Lehrenden sowie auf eine Förderung talentierter Schüler:innen abzielten.
Natürlich kommt Bildung, unabhängig ob in der Schule, Universität oder Ausbildung, mit dem Kriegsbeginn nicht vollständig zum Erliegen. Als integrale gesellschaftliche Funktion passt sich Bildung selbst während einschneidender Zäsuren wie Revolutionen, politischen Systemwechseln oder Kriegen an ihre Umgebung an, obgleich Verwüstungen, Ressourcen- und Personalknappheit oder die Erfahrung von Verlust und Tod erhebliche Auswirkungen haben können. Bildung kann u.a. dafür genutzt werden, Resilienzen gegenüber Gefahren, Risiken, Tod und menschlichen Grausamkeiten aufzubauen. Schließlich müssen militärische Konflikte von einer Gesellschaft bewältigt werden, und Bildung ist eine wichtige kulturelle Anstrengung, um dies zu erreichen.
In diesem Kontext ist die zweite Sektion mit dem Titel „Wartime Education“ zu verorten: Den Aufschlag macht Frank Jacob, der sich mit den Diskussionen der frühen japanischen Feministinnen zur Frauenbildung befasst. Daran anschließend erörtert May Jehle anhand von Schulvideos das Argument der Landesverteidigung im Rahmen des Staatsbürgerkundeunterrichts in der Deutschen Demokratischen Republik. Im Mittelpunkt des von Stefan Kessler, Raffaela Christina de Vries, Christina Rothen und Carmen Flury verfassten Beitrages steht die Ausbildung von Krankenschwestern in der Schweiz zwischen 1930 und 1955. Ein weiterer Aufsatz, aus der Feder von Julia Kurig und Esther Berner, ist dem Erziehungswissenschaftler Erich Weniger vorbehalten, der am Aufbau der westdeutschen Armee mitwirkte. Der letzte Beitrag in der zweiten Sektion stammt von Esbjörn Larsson, dessen Untersuchung dem militärischen Training von schwedischen Schulmädchen während des Zweiten Weltkrieges gewidmet ist.
In der dritten Sektion „The Impact of War on Education“ wird der in der jüngeren geschichtswissenschaftlichen Forschungsliteratur teilweise geäußerten Annahme nachgegangen, ein militärischer Konflikt besäße erzieherisches Potential. [2] Eine solche Perspektive akzeptiert die Tatsache des Tötens und fragt deshalb in erster Linie nach den vielfältigen sozialen Folgen, Rechtfertigungen, Aufarbeitungen und Integrationen von Kriegen – schließlich schaffen diese einzigartige Erfahrungen, die von der Bildung aufgegriffen, aufgearbeitet und verarbeitet werden können. Die dritte Sektion konzentriert sich daher verstärkt auf die Zeitlichkeit der kriegsbedingten Einflüsse hinsichtlich der Bildungsnormen, -formate und -mittel.
Martin Woda beginnt diesen Abschnitt mit einer Erörterung der geschlechtsspezifischen Aspekte der Kriegspädagogik an den höheren Schulen Preußens, insbesondere in Berlin vor und während des Ersten Weltkriegs. Nachfolgend beschäftigt sich Christine Ogren mit der Wahrnehmung des Ersten Weltkriegs in den USA und argumentiert, dass dieser als Katalysator für Veränderungen in der Lehrerausbildung diente. Annette Rasmussen und Karen Andreasen dagegen thematisieren das dänische Interesse an der Ausbildung von Frauen in der Hauswirtschaft während des Zweiten Weltkrieges und machen einmal mehr deutlich, wie eng die Faktoren Krieg und Bildung in dieser Diskussion miteinander verbunden waren. Der Fokus von Shaofang Wang und Kaiyi Li liegt auf den chinesischen Sommer-Trainingslagern für Studenten in den 1920/30er Jahren, die sie vor dem Hintergrund früherer Versuche, militaristische Ansätze in die Lehrpläne zu integrieren, diskutieren. Abschließend hinterfragt Joanna Wojdon das kollektive Gedächtnis in Polen in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg und argumentiert, dass die bis heute äußerst hitzig geführten Debatten über den Holocaust und den Weltkrieg nicht nur auf die Bedeutung des historischen Ereignisses zurückgeführt werden können, sondern auch auf ihre Unterdrückung durch das kommunistische Regime.
Fragt man nach dem transformativen Potenzial des Bandes, so überzeugt der globale Zuschnitt, auch wenn sich die Beiträge zumeist auf die jeweiligen nationalen Bildungsdebatten beschränken. Indem die Autor:innen aber Bildung im Kontext von heißen als auch kalten Kriegen mit Blick auf das gesamte 20. Jahrhundert diskutieren und der Band dabei nicht auf einer eurozentrischen Ebene verharrt, lassen sich argumentative Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Bildungsansätzen und -reformen deutlicher erkennen, etwa indem sich Länder wie China (in ihren Militärcamps für Studenten) dezidiert an europäischen Methoden orientierten.
Alles in allem ist der Band argumentativ dicht, intellektuell anregend und breit gefächert, was ihn für ein breites Publikum interessant macht. Er leistet einen aktuellen Beitrag zu einem hochkomplexen Thema, das spätestens seit dem Beginn des Russisch-Ukrainischen Krieges auch in Europa wieder von enormer Bedeutung ist.
[1] Woody, T. (1945). War and Education. Bulletin of the American Association of University Professors (1915-1955), 31(4), 587.
[2] Denzler, A., Grüner, S., Raasch, M., (2016). Kinder und Krieg. Von der Antike bis in die Gegenwart. De Gruyter Oldenbourg.