German-American Exchange and the Rise of the Modern Research University
Chicago/London: The University of Chicago Press 2021
(384 S.; ISBN: 978-0-226-34181-1; 34,00 EUR)
Sammelrezension
Die deutsch-amerikanischen Beziehungen im Bildungsbereich sind spätestens ein Thema, seit im frühen 19. Jahrhundert amerikanische Besucher die deutsche Universität studierten und die von ihnen beobachten und/oder unterstellten Vorzüge zu adaptieren suchten. Aber die Beziehungen wurden auch selbst beobachtet, historisch und als Differenz zweier Modelle schon bei Max Weber, konstant von Historikern, auch nicht allein für den Hochschulbereich, dem die hier anzuzeigenden Titel entstammen. [1] Emily Levine, in Stanford lehrend, platziert ihre Studie, die das Verhältnis schon im Titel – „Allies and Rivals“ – thesenhaft zuspitzt und auf die Geschichte der „Research Universities“ eingrenzt, jenseits alter Narrative: Über die ‚Weltgeltung deutscher Wissenschaft‘ wird hier so wenig geredet wie über Prozesse der ‚Übernahme‘ des ‚Humboldt’schen Modells‘ und seiner vermeintlich universal-überzeitlichen ´Idee´. Das sind Projektionen von gestern. Komparatistisch geschult, sieht die Verfasserin die beiderseitigen Beziehungen als einen im je eigenen Interesse gesteuerten Prozess von ´borrowing and lending´. Vor allem aber sieht sie Gestalt und Funktion der Universität nicht von einer einzigen Idee regiert, etwa der der Autonomie, sondern als immer neu auszuhandelnde Konstruktion einer Organisation, die heterogene und spannungsreiche Erwartungen austarieren muss.[2] Konkret zeigt die Universität deshalb (wie auch von Humboldt akzeptiert) immer nur Selbstständigkeit in der Abhängigkeit, u.a. von gesellschaftlichen Erwartungen, zumal ökonomischen, von politischen Vorgaben sowie, nicht zu vergessen, internen Machtverhältnissen.
Levine konstruiert ihre Geschichte deshalb auch als einen Prozess, in dem das Paradox der Universität bearbeitet wird, dass sie ihre Identität nur in einem je neu auszuhandelnden „academic social contract“ (10) gewinnen kann, wie Levine die notwendige Kompromissstruktur zwischen Autonomie und Verantwortung für die Gesellschaft, zwischen „broader social needs and political stakeholders“ (11) bezeichnet. Zur Praxis der Entparadoxierung gehört aber auch, dass Universitäten klug den Ertrag nutzen, der sich aus der distanzierten Beobachtung, souveränen Rezeption und Adaptation sowie der selbstgesteuerten Integration anderer Modelle in einer „competitive emulation“ (4 u.ö.) für die eigene Universität ergibt. Diese Praxis wird am deutsch-amerikanischen Fall zwischen den systematisierenden Einleitungs- und Schlussbemerkungen in zehn materialreichen Kapiteln entfaltet. Sie setzten mit Humboldt ein und enden 1933 – das ´lange 19. Jahrhundert´ wird als Folie bemüht (218) –, immer im komparativen Blick. „The Humboldtian contract“ (1.) wird daher einerseits zur Kapitelüberschrift für die Form, mit der schon Humboldt konfligierende Erwartungen integriert hat, andererseits zum Anlass, amerikanische Versuche der Reform von Universitäten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts darzustellen. Am Beispiel von Göttingen und Baltimore bzw. der Johns-Hopkins-Gründung für das weitere 19. Jahrhundert (2.) zeigt sie, wie der wechselseitige Lernprozess sich früh auch auf einzelne, zukunfts- und anwendungsfähige Disziplinen und die neuen, technischen, Hochschulen erweitert. Die Weltausstellung in St. Louis 1904 (3.) wird schon zum signifikanten Exempel für die Ambivalenzen der „knowledge economy“; und, wie man ergänzen könnte, für die klug organisierte, im je eigenen nationalen, universitären oder individuellen Interesse – Hugo Münsterberg ist das deutliche Exempel – strategisch praktizierte „Wissenschaftsdiplomatie“ [3]. National wird zugleich der höchstmögliche gesellschaftliche Nutzen aus autonomer Forschung zu ziehen gesucht, wie sie für Preußen/Deutschland natürlich v.a. an dem um 1900 höchst wirksamen preußischen Hochschulpolitiker Friedrich Althoff belegt. Kapitel 4 und 5 zeigen im konstanten Ausschluss von Frauen und Schwarzen die Folgeprobleme in der demokratischen und als egalitär propagierten US-Gesellschaft. Dies wird etwa daran deutlich, dass die Funktionsprämissen von Forschungsuniversitäten in ein hierarchisch strukturiertes „system of higher education“ implementiert werden, das zugleich – schon weil das egalisierende Abitur fehlt – der zentrale Agent bei der Regulierung des Zugangs in die Universitäten und in die klassischen Professionen von Medizin bis Recht wird, und alle Formen scharfer Selektion als legitimen Wettbewerb legitimiert, in dem die Klügsten überleben. Die Spezifik nationaler Wissenschaftspolitik wird (6.) an der engen, auch personalen, Vernetzung von „Carnegie, Capital and the Kaiser“ und an den konfligierenden Prämissen von Staat und Stiftungen, Politik und Kapital diskutiert, wobei jetzt, u.a. in der Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft die Universitäten der USA als Vorbild fungieren. Mit dem Ersten Weltkrieg (7.) werden einerseits Prinzipienfrage wieder sichtbar, u.a. das Autonomieproblem gegenüber der Politik, aber, hier wie dort, auch die Bündnisse von Universität und Staat und die Konflikte innerhalb der Professorenschaft, denn wer nicht zustimmte, musste gehen. Nach 1918 (8.) ist der Austausch strukturell belastet, aber es gibt auf beiden Seiten Innovationen: in New York mit der Gründung der New School für Social Research (1918, nicht erst 1933), in Frankfurt (aber bitte am Main, nicht als „experiments on the Rhine“, wie auf S. 182 steht) mit der Stiftungsuniversität, dem Institut für Sozialforschung und dem jüdischen Lehrhaus, die alle ohne Stifter nicht möglich gewesen wären. 1933 erweist sich zweifach als Zäsur: als „annus horribilis“ (9.) in der Machtübernahme der Nazis und der Unterwerfung der Universität und der Wissenschaften, als „annus mirabilis“ (10.) in den Reformimpulsen, die von den in die Emigration gezwungenen deutschen Gelehrten v.a. in den USA ausgehen.
Beispiele dafür sind die New School, das Center for Advanced Studies oder das Black Mountain College, das, von Bauhaus-Lehrern inspiriert, erst die Kunst des 20. Jahrhunderts förderte und sich seit 1944/45 auch Schwarzen Amerikanern öffnete. Humboldts Ideen, so könnte man sagen, haben dann in den USA ein Residuum gefunden.
Zugleich wird das Hochschulsystem der USA weltweit führend, nicht zuletzt wegen seiner finanziellen Ressourcen für die Großforschung, mit all den Implikationen, die sich, bis hin zur Exzellenzinitiative und ihren Folgen, von Ranking bis Finanzierung und Hierarchisierung, aus dem USA-Modell ergeben und kopiert werden.
So überzeugend und materialreich, unterhaltsam und inspirierend, wenn auch in manchen Details, etwa beim Professionalismus, für die jeweiligen Spezialisten in etwas knapper Form, diese Geschichte geschrieben ist, liest man das zweite zu rezensierende Buch von Kirby parallel, dann wird deutlich, dass die „Research University“ nur einen Teil des „Systems of Higher Education“ erfasst. Levine verweist selbst im Ausblick auf die Idee der „Multiversity“ des Präsidenten (1958-1967) der University of California, Clark Kerr, man könnte retrospektiv an die Ausweitung des deutschen Wissenschaftssystems um außeruniversitäre Forschung einerseits, die Gründung neuer Fakultäten andererseits erinnern, so dass schon 1933 beklagt wurde, dass die Universitäten in der „Verhandelshochschulung“ (Eduard Spranger) ihre Spezifik verloren hätten. Vor allem die Expansion der außeruniversitären Forschung belegt aber, dass „die (Forschungs-)Universität“ allenfalls noch ein Segment im System der höheren Bildung darstellt, und nicht einmal für die Forschung noch das Weltmodell.
William Kirbys Studie geht ebenfalls von der Beobachtung aus, dass das amerikanische das deutsche Modell abgelöst hat, ergänzt das aber um die Frage, ob nicht längst der neue akademische Goldstandard in China zu suchen ist. Auch für diese Argumentationsfigur gibt es schon zahlreiche Stimmen; Kirby selbst, Professor zugleich für Business Administration und China Studies in Harvard, hat das Thema schon früher expliziert. [4] Jetzt diskutiert er die Frage einerseits im Blick auf die jeweiligen Gesamtsysteme, vor allem aber in der Detailanalyse einzelner Universitäten. Für Deutschland sind das die Berliner Universitäten: Humboldts Gründung einerseits als „the modern original“ (er nutzt die Selbstbeschreibung der HU), die Freie Universität andererseits als Produkt des Kalten Krieges, beide mit der Ambition, dem Forschungsimperativ und der Bildungsidee (der liberal education der anglo-amerikanischen Tradition) zugleich zu genügen. Für die USA stehen Harvard und die Stiftungs-Tradition, die University of California als öffentliche Einrichtung und Duke als private Universität mit großen internationalen Ambitionen – alles elitäre Einrichtungen, aber mit je unterschiedlichen Selbstkonzepten. China ist exemplarisch mit Tsinghua vertreten, als „Chinas MIT“ etikettiert und international präsent; sodann mit Nanking, einst als Nationale Universität konzipiert, jetzt mit allen Folgeprobleme solcher Zuschreibungen belastet; schließlich mit Hongkong, dessen Universität als Modell für Asien gedacht war, mit der Eingliederung in China aber mit einer neuen Welt und neuen Konflikten konfrontiert wurde. Auch hier handelt es sich gemäß Rankings allesamt um forschungsstarke Universitäten.
Für die vergleichend ansetzende Analyse nutzt Kirby neben der Rechtfertigung des Erkenntniswerts von Fallstudien ein Set von Faktoren, die eine vergleichende Beschreibungen des Einzelfalls eröffnen: v.a. „leadership“ und „governance“, „quality of faculty and students“, „financial resources“. Er fragt weiter nach dem Wissenschaftskonzept der jeweiligen Universität und erwartet „research at the highest level“. Außer nach „Wissenschaft“ (dort deutsch) fragt er nach „Bildung“ (dto.), oder „liberal education“, als „the education of the whole people“, und nach der Form von Autonomie, und schließlich berücksichtigt er die internationalen Rankings, deren Aussagewert er ausführlich und distanziert diskutiert. Aber die Rankings nötigen ihn auch zu Erläuterungen, warum neben den ganz alten Universitäten, etwa Bologna, auch z.B. Oxford und Cambridge nicht vorkommen. Kirby führt dazu an, die letzteren hätten sich erst im Blick auf das deutsche Modell im 19. Jahrhundert erneuert, ohne dabei selber modellbildend geworden zu sein. Eine Rolle spielte bei der Fallauswahl wohl auch sein persönlicher Erfahrungshintergrund (Studien an den besten Universitäten in den USA, England und China, breite Lehr- und Forschungstätigkeit, internationale Aktivitäten, auch in Deutschland), den er transparent darstellt.
Die Analysen erheben keinen genuin historiographischen Anspruch, sondern bieten eher knappe Porträts der jeweiligen Universitäten, und dies bis 2022. Kirby stützt sich außer auf seine persönlichen Kenntnisse, die verfügbaren Daten, Rankings und die Literatur auch auf intensive Gespräche mit Präsidenten und Kanzlern (und das große Lob für den „iron chancellor“ der FU, Peter Lange, 2001-2015, kann ich nur unterstreichen). Die Zeitzeugeninterviews geben den Analysen die persönliche Note, zeigen aber auch die Risiken solcher Quellen. Für Berlin, da kann der Rezensent sie am ehesten kontrollieren, sind die Interviews zwar eindeutig, aber die Perspektiven der FU- oder der HU-Akteure werden auch nicht kritisch hinterfragt (und für die HU sind die Aussagen der befragten Präsidenten eher für die individuelle Perspektive der Befragten als für die tatsächliche Situation der Universität aussagekräftig). Gleichwie, die Skizzen bieten für den, der z.B. mit chinesischen Verhältnissen wenig vertraut ist, instruktive Einblicke und vor allem fundieren sie die Bilanz, die Kirby in seinen „Lessons“ (385ff.) am Ende, orientiert an den Faktoren, die seine Analyse geleitet haben, vorträgt.
Manche Befunde überraschen dann nicht wirklich, etwa die je große Bedeutung von Wissenschaft und Forschung, die sich in allen Staaten national erhalten hat. Den weiteren Befund, „governance matters“, begleitet von „leadership matters“ wird man auch sofort akzeptieren, denkt man nur an die diversen Harvard Präsidenten oder an Kerr in Kalifornien, an die Präsidenten deutscher Universitäten oder an die Gremienuniversität. Letztere sieht er als förderlich am Beispiel der FU, apostrophiert sie aber im Fall der HU mit „from Authoritarianism to Anacharchism“ (49f.), womit er nur mäßig übertreibt. Ein Professor der Harvard Business School vergisst natürlich nicht, dass „money matters (a lot)“, und da werden selbst die deutschen Exzellenzuniversitäten den Standard der Ivy-League nie erreichen. Die abschließende Frage, ob China mit seiner Mischung aus Staatskontrolle, extensivem Import von Wissenschaft und immenser Forschungsförderung das neue Weltmodell werden kann, zeigt vor allem die Bedeutung des politisch-gesellschaftlich-kulturellen Kontextes für die autonomen, wissenschaftsgeleiteten Handlungsmöglichkeiten der Universitäten. Dann bleibt mit Blick auf die Gegenwart eher große Skepsis, ob China das neue Weltmodell für Forschungsuniversitäten sein kann. Die Spannungen zwischen Staat, Universität und politischer Ideologie, der Eigenlogik des Forschungsimperativs und der Bildungsidee sind doch zu groß – alte Erwartungen an Chinas Rolle, bei Kirby selbst und anderen westlichen Beobachtern früher präsent, werden aktuell dementiert. Wahrscheinlich gibt es überhaupt kein Weltmodell, sondern nur Wettbewerb im Weltmaßstab.
[1] Zwei Titel zeigen die Spannweite der behandelten Themen und beteiligten Akteure für die letzten Jahrzehnte an: Geitz, H., Heideking, J., & Herbst, J. (Hrsg.) (1995). German influences on education in the United States to 1917. Deutsches Historisches Institut, Washington D.C. and Cambridge University Press.; sowie J. Overhoff & Overbeck, A. (Eds.) (2017): New Perspectives on German-American Educational History. Topics, Trends, Fields of Research. Klinkhardt – mit Beiträgen, die schon mit den Philanthropen und Benjamin Franklin im 18. Jahrhundert einsetzen.
[2] Dafür theoretisch sehr ambitioniert und lehrreich: Meyer, H.-D. (2017). The Design of the University. German, American, and „World Class“. New York/London : Routledge/Taylor & Francis; sowie meine Rezension in der Sozialwissenschaftlichen Literatur Rundschau (SLR) 40 (2017).
[3] Insofern ist als Parallelanalyse sehr zu empfehlen: Lerg, C. A. (2019). Universitätsdiplomatie: Wissenschaft und Prestige in den transatlantischen Beziehungen 1890-1920. Vandenhoeck & Ruprecht.
[4] Kirby, R. (2014). The Chinese Century? The Challenges of Higher Education. In Daedalus 143, 2, Spring, 145-156.