3 Bände im Schuber
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2011
(1.509 S.; ISBN: 978-3-8252-8468-8; 99,00 EUR)
Mit seinen rd. 1.500 Seiten ist das Klinkhardt Lexikon Erziehungswissenschaft (KLE) zurzeit das umfangreichste deutschsprachige, erziehungswissenschaftliche Wörterbuch. Es wird Maßstäbe setzen und Projekte ähnlicher Art herausfordern oder zur Bescheidenheit zwingen. Als Rezensent eines so umfangreichen Nachschlagewerkes, dessen gedruckte Form angesichts der Möglichkeiten, die heute das Internet für Online-Recherchen bietet, fast etwas anachronistisch anmutet, steht man vor einer nicht leichten Aufgabe. Eine erschöpfende Analyse und detaillierte Kritik ist kaum möglich, weshalb ich mich im Folgenden auf einige Aspekte beschränken werde, deren Auswahl jedoch dem Anliegen verpflichtet ist, dem Leser und der Leserin einen repräsentativen Einblick in das KLE zu geben. Ich werde auf relativ viele Lemmata, die jeweils “kursiv“ gesetzt sind, verweisen, einerseits um meine Ausführungen zu belegen und andererseits um möglichst anschaulich zu vermitteln, was das KLE zu bieten hat. Meine Rezension gliedert sich in fünf Teile: (I) Formale Gestalt des KLE (inklusive einem kurzen Vergleich mit möglichen Konkurrenzunternehmen im deutschsprachigen Raum), (II) Streiflichter auf die Inhalte des KLE, (III) Kritik seiner Verweisungsstruktur, (IV) Ausleuchtung der forschungsmethodischen Lemmata und (V) Repräsentation der Disziplin Erziehungswissenschaft im KLE.
(I) Formale Gestalt des KLE
Das KLE umfasst drei Bände im Format 17 x 24 cm von je rd. 500 Seiten. Außer einem dreiseitigen Vorwort der drei Herausgeber und der Herausgeberin sowie einer Seite Hinweise zu seiner Benutzung, ist das KLE durchweg zweispaltig angeordnet. Auf jeder Seite erscheinen in der Fußzeile das Akronym KLE und das Erscheinungsjahr (2012), ergänzt um die jeweilige Bandzahl. Auch im (Papp-)Einband – vorderer und hinterer Buchdeckel sowie Buchrücken – geben sich die drei Bände prominent als KLE zu erkennen. Man will offenbar eine Marke lancieren oder ein Logo setzen, das dem Benutzer in Erinnerung bleibt – inspiriert vielleicht vom „BELTZ Lexikon Pädagogik“, das ebenfalls als Markenzeichen auftritt. Ob es eine gute Idee ist, wenn Verlage ihre Wörterbücher so offensiv zu Werbezwecken nutzen, bleibe dahingestellt. Marketingtechnisch scheint es kaum noch anders zu gehen, was man auch im englischen Sprachraum beobachten kann; man denke an den „Routledge Companion to Education“ oder den „Blackwell Companion to the Philosophy of Education“.
Die über 2.100 Lemmata sind von unterschiedlicher Länge und bewegen sich zwischen einem Drittel einer Spalte (wie im Falle von “Indikator, Fragebogen und Leonard Nelson“) bis zu etwas mehr als sechs Spalten (wie im Falle von “Allgemeine Pädagogik“). Die Länge der Lemmata spiegelt nach Darstellung der Herausgeber ihre Bedeutung für die Disziplin Erziehungswissenschaft wider (Bd. 1, 8).
Die Mehrzahl der Lemmata deckt Sachbegriffe ab. Daneben soll das KLE auch 67 länder- und regionenbezogene Stichwörter sowie 386 Personeneinträge enthalten (Bd. 1, 8). Doch diese Angaben stimmen nicht oder sind zumindest höchst unpräzise. Während die Nennung der Gesamtzahl von „über 2.100 Stichwörtern“ (Bd. 1, 8) zutrifft (nach meiner Zählung sind es genau 2.117 Lemmata), finden sich nicht 386, sondern 400 personenbezogene Stichwörter, wobei in drei Fällen Ehepaare aufgeführt sind (Karl und Charlotte Bühler, William und Clara Stern sowie Reinhard und Anne-Marie Tausch), so dass die Gesamtzahl der porträtierten Personen bei 403 liegt. Im Falle der Länder sind es nicht 67, sondern 82 Länder (eingeschlossen die 16 deutschen Bundesländer). Weshalb die von den Herausgebern genannten Zahlen nicht korrekt sind, vermag ich nicht zu eruieren. Möglicherweise wurde das Vorwort zu einem Zeitpunkt geschrieben, als die Arbeit am Gesamtwerk noch nicht abgeschlossen war.
Die Personenporträts, die eine Länge von einer halben bis zu einer ganzen Spalte aufweisen, sind nicht auf Figuren aus der Erziehungswissenschaft und benachbarten Disziplinen beschränkt, sondern umfassen vor allem auch Personen aus der Geschichte der Pädagogik, wobei sowohl die pädagogische Praxis wie auch die Bildungspolitik berücksichtigt werden. Kriterium für die Aufnahme war, dass die Person „nicht bzw. nur in Ausnahmefällen“ (Bd. 1, 10) nach 1930 geboren wurde. Solche Ausnahmefälle kommen immerhin acht Mal vor, wobei in zwei Fällen das Geburtsjahr ziemlich weit von 1930 abliegt, nämlich im Falle von Christian Marzahn (1941-1994) und Detlev Peukert (1950-1990). Mir ist unerfindlich, weshalb diese beiden Namen ins KLE aufgenommen wurden. Der am weitesten zurückreichende Beitrag betrifft im Übrigen Christine de Pizan (1365-1429/30). Personen aus der Antike, wie Aristoteles, Sokrates oder Platon, werden ebenso wenig porträtiert wie die Kirchenlehrer Augustinus, Albertus Magnus und Thomas von Aquin.
Die Länderbeiträge geben Informationen zu gesellschaftlichen Aspekten (Bevölkerung, Politik, Wirtschaft) und zum jeweiligen Bildungssystem (mit Fokus auf Schule und Hochschule). Einige Länder wurden zu Ländergruppen zusammengefasst (z.B. arabische, lateinamerikanische oder ostasiatische Staaten). Deutschland wird nicht als Land dargestellt; vielmehr hat jedes Bundesland einen eigenen Eintrag.
Zu fast allen Lemmata finden sich Literaturverweise, sei es (eher selten) im Text, sei es (in der Regel) im Anschluss an den Lemmatext, wo zumeist ein bis drei (selten mehr) Titel aufgeführt sind. Ohne Literaturverweise sind nur gerade fünf Stichwörter geblieben, nämlich “Bildungsmittel, Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit, Intermediäre Organisationen, Kinder- und Jugendplan des Bundes“ sowie “Christian Marzahn“.
Am Ende des dritten Bandes finden sich ein Verzeichnis sämtlicher Stichwörter des KLE und ein Index sämtlicher Verfasserinnen und Verfasser („Autoren“ genannt) der Stichwörter. Es werden jedoch keine Sachwörter, die nicht Stichwörter sind, verzeichnet, und auch Personen, die kein Porträt erhalten haben, werden im Stichwortverzeichnis nicht genannt. Das KLE verwendet generell keine Zitate; auch Kursivierungen oder andere Arten der Hervorhebung finden sich nicht. Ebenso wenig gibt es Tabellen, Abbildungen oder Grafiken. Durchgängig wird das generische Maskulinum verwendet. Als Autorinnen und Autoren fungieren über 700 Fachvertreterinnen und Fachvertreter (darunter auch einer der Herausgeber und die Herausgeberin), die von einem bis gegen 50 Lemmata verfasst haben.
Es kann nicht Anliegen dieser Rezension sein, das KLE mit anderen Angeboten erziehungswissenschaftlicher Nachschlagewerke im Detail zu vergleichen. Jedoch kann auch ein reduzierter Vergleich, der sich aufs Formale beschränkt, Aufschluss bieten und zur besseren Situierung des KLE beitragen. Allerdings stößt selbst ein formaler Vergleich an seine Grenzen, denn zurzeit ist eine ganze Reihe von Referenzwerken auf dem Markt, die mit dem KLE im Wettstreit um die Gunst der Leserschaft stehen. Ich beschränke mich daher auf eine Auswahl von drei möglichen Konkurrenten, die alle aus dem Beltz-Verlag stammen.
Da ist erstens das bereits genannte „BELTZ-Lexikon Pädagogik“, das 2007 in gebundener Form und 2012 als broschierte Studienausgabe erschienen ist. Es ist einbändig und umfasst 785 Seiten, auf denen sich rd. 6.000 zumeist sehr kurz gehaltene Stichwörter sowie 64 etwas längere Übersichtsartikel finden. Die Zahl der Stichwörter ist im Vergleich zum KLE weit grösser, deren Gehalt jedoch deutlich geringer, dies auch insofern, als das BELTZ-Lexikon Pädagogik viele Lemmata enthält, die nicht spezifisch pädagogisch sind. In einigen Fällen sind die Lemmata auch offensichtlich veraltet [1]. Jedoch ist das BELTZ-Lexikon Pädagogik benutzerfreundlich gestaltet, weist viele Abbildungen und Grafiken auf und kann mit der Studienausgabe durch einen äußerst günstigen Preis auf sich aufmerksam machen.
Da ist zweitens das „Handwörterbuch Erziehungswissenschaft“, das ebenfalls kompakt in einem Band vorliegt, jedoch lediglich 61 Stichwörter auf rd. 900 Seiten aufweist, die in einer internationalen Perspektive verfasst sind. Allein schon die geringe Zahl an Lemmata, über deren Auswahl man zudem geteilter Meinung sein kann, verhindert, dass das Handwörterbuch Erziehungswissenschaft dem KLE ernsthafte Konkurrenz machen kann, wie im übrigen auch nicht dem BELTZ-Lexikon Pädagogik. Die Herausgeberinnen und Herausgeber bekennen sich explizit und dezidiert zum Format Handwörterbuch, das nicht vollständig sein wolle, aber den Anspruch erhebt, „alle wichtigen Stichwörter [der Erziehungswissenschaft, W.H.] zu erfassen“ [2].
Ähnliches gilt im Übrigen – auch wenn ein direkter Vergleich hier kaum möglich ist – für das dreibändige „Handbuch der Erziehungswissenschaft“ [3], das bei einem Gesamtumfang von rd. 3.600 Seiten in 179 Kapitel gegliedert ist, was einen Durchschnittswert von rd. 20 Seiten pro Kapitel ergibt, während der Umfang der Lemmata des Handwörterbuchs Erziehungswissenschaft bei knapp 15 Seiten liegt. Während das Handwörterbuch Erziehungswissenschaft jedoch formal einem Lexikon entspricht, insofern es nach Stichwörtern gegliedert ist, die alphabetisch angeordnet sind, gilt dies für das Handbuch der Erziehungswissenschaft nicht, da es nach Themen strukturiert ist wie beispielweise „Bildung im Lichte der Gehirnforschung“, „Effekte neuer Steuerung aus bildungsökonomischer Sicht“ oder „Reformpädagogische Schulmodelle und ihr Einfluss auf die Schulreform der Gegenwart“.
Da ist drittens die „Enzyklopädie Erziehungswissenschaft Online“ (EEO), die bewusst die Möglichkeiten nutzt, die das Internet für ein erziehungswissenschaftliches Referenzwerk bietet. Weder die disziplinäre Systematik der Erziehungswissenschaft noch die Ordnung ihrer Grundbegriffe, sondern die pure Aktualität des Wissensstandes bestimmen die Themen und Inhalte der EEO. Die Beiträge sind dementsprechend höchst variabel. Formal reichen sie vom gründlich recherchierten Überblicksartikel bis zum leichtfüßigen Essay. Inhaltlich zeigt sich die Variabilität bereits in der Titelgebung der Beiträge, die nicht den Charakter von Lemmata hat, sondern wie bei einem Aufsatz einer Inhaltsangabe in Kurzform entspricht, wie beispielsweise: „Leistungsbeurteilung gestern, heute, morgen“ (46 Seiten), „Genderbezogene Phänomene im Schulsport“ (31 Seiten), „Interpretative Videoanalysen in der Sozialforschung“ (40 Seiten), „Effekte von Bildung“ (60 Seiten), „Schweizer Heilpädagogik“ (38 Seiten), „Männlichkeitskonzeptionen“ (44 Seiten), „Modelle der Item-Response-Theorie“ (36 Seiten), „Bildungslandschaften“ (80 Seiten) [4]. Wie die Angaben in Klammern zum Umfang der Beiträge zeigen, ist die EEO weder ein klassisches Lexikon noch ein Handwörterbuch im üblichen Sinn, sondern eine lockere Zusammenstellung von Einzelelementen, der man die Bezeichnung „Enzyklopädie“ nur widerwillig zugesteht. Die EEO setzt sich bereitwillig den Zufällen der Entwicklung der Erziehungswissenschaft aus und driftet je nachdem das eine Mal in diese, das andere Mal in die andere Richtung, ohne auf ein Telos gerichtet zu sein oder einen Abschluss des Unternehmens im Auge zu haben. Insofern stellt auch die EEO kein Konkurrenzunternehmen zum KLE dar.
Zweifellos wären weitere Beispiele beizuziehen, um zu klären, inwieweit das KLE im aktuellen Angebot deutschsprachiger pädagogischer Referenzwerke ein Alleinstellungsmerkmal aufweist. Im Kontext der drei ausgewählten potentiellen Konkurrenten vermag es jedoch zu bestehen. Zu unterschiedlich sind Zielsetzung und Konzeption der verglichenen Werke, als dass eine Konkurrenzsituation überhaupt entstehen könnte. Das KLE stellt im positiven Sinn ein Nischenprodukt dar, das sich durch seine Orientierung an einer disziplinären Systematik und seinen strengen Aufbau von der pragmatischen Ausrichtung der EEO klar unterscheidet, durch die große Zahl an Lemmata eine deutliche Alternative zum Handwörterbuch Erziehungswissenschaft (und zum Handbuch der Erziehungswissenschaft) darstellt und durch die umfassende und sorgfältige Erläuterung seiner Lemmata gegenüber den teilweise kurzatmigen Ausführungen im BELTZ-Lexikon Pädagogik eindeutig im Vorteil ist.
(II) Streiflichter auf die Inhalte des KLE
Es ist kein leichtes Unterfangen, in einer Disziplin, deren Begrifflichkeit schwankend und kaum konsolidiert ist, ein Wörterbuch vorzulegen, das jedermann zu überzeugen vermag. Die drei Herausgeber und die Herausgeberin schienen sich der Dimensionen ihres Projektes von Anfang an bewusst gewesen zu sein, wie eine Bemerkung im Vorwort vermuten lässt, wonach „eine verbindliche Fachsprache der Erziehungswissenschaft nicht vorhanden ist“ (Bd. 1, 8). Und sollten sie doch nicht von Anfang an gewusst haben, worauf sie sich einlassen, dürfte ihnen spätestens bei der Lektüre des Lemmas “Erziehungswissenschaftliche Lexika“ ein Licht aufgegangen sein. Da heißt es nämlich, ein Lexikon diene „zur Dokumentation repräsentativen Wissens“ (Bd. 1, 352); es stehe „für das repräsentative Konsenswissen einer Fachgemeinschaft“ (ebd.). Im Normalfall sei daher „der in einem Wörterbuch gebotene Begriffsapparat mit dem Fachwortschatz einer Diskursgemeinschaft identisch“ (ebd.). Wenn dies der Anspruch ist, dann muss der Rezensent (auch) darüber urteilen, ob er vom KLE erfüllt wird oder nicht. Nach meiner Meinung fällt das Urteil in inhaltlicher Hinsicht weitgehend positiv aus, während in formaler Hinsicht einige Mängel zu beanstanden sind.
Für ein positives Urteil spricht zunächst die sorgfältige Edition des KLE. Die überwiegende Zahl der Stichwörter ist sachlich und informativ abgefasst. Nur in seltenen Fällen trifft man auf unverhohlen wertende Äußerungen oder unsachliche Positionsbezüge – am ehesten bei den Stichwörtern zu den Forschungsmethoden (worauf ich im vierten Teil meiner Rezension eingehen werde). Offensichtliche Fehlinformationen sind keine auszumachen, auch wenn man angesichts der schieren Fülle an Information, die das KLE bietet, mit solch einer Aussage zurückhaltend sein sollte.
Fehler formaler Art sind mir neben einigen Schreibfehlern – so ist z.B. das Lemma “Forschungsstrategien“ mit nur einem s geschrieben, im Lemma “Pädagogische Interaktion“ wird Krappmann ein falscher Vorname zugewiesen und im Stichwortregister wird “Interpretative Sozialforschung“ mit einem kleinen i geschrieben – nur wenige aufgefallen. So erscheint das Stichwort “Mexiko“ zwei Mal; beim ersten Mal wird auf das Lemma “Lateinamerika“ als Ländergruppe verwiesen, beim zweiten Mal wird “Mexiko“ (als eines der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer) in einem eigenen Lemma abgehandelt (Bd. 2, 388). Der Verweis vom Kürzel “UN“ auf “Vereinte Nationen“ (Bd. 3, 337) ist falsch, da zu den Vereinten Nationen kein Lemma existiert, jedoch zu “United Nations“ (im Stichwortregister ist der Verweis dann richtig). Das Lemma “Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung“ scheint auf den ersten Blick nicht richtig platziert zu sein. Es erscheint nämlich unter dem Buchstaben L – zwischen “Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde“ und “Lebenslage“ – und nicht unter dem Buchstaben B. Insofern im Stichwortverzeichnis das erste Wort (Bundesvereinigung) jedoch weggelassen wurde, liegt der Fehler offenbar nicht bei der Platzierung, sondern bei der Bezeichnung. Das wird im Lemmatext bestätigt, wo es von der „Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung“ heißt, diese würde „meist kurz Lebenshilfe genannt“ (Bd. 2, 275).
Als formalen Fehler könnte man des Weiteren taxieren, dass die Literaturangaben bei einzelnen Lemmata nicht in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt sind (z.B. bei “Bildungsbürgertum, Ethnizität, Generation, Interkulturelle Jugendarbeit, Polytechnische Bildung und Erziehung, Recht der Berufsbildung)“. Auffallen mag zudem, dass bei den Porträts von Personen, die noch nicht verstorben sind (immerhin gilt dies in 15 Fällen), das Geburtsjahr das eine Mal mit einem Stern (*), das andere Mal mit der Abkürzung „Geb.“ angegeben wird. Im Stichwortverzeichnis wird die “Frühpädagogik“ zwei Mal aufgeführt, wobei es das erste Mal offenbar “Frühförderung“ heißen müsste. Schließlich werden im Stichwortverzeichnis an drei Stellen Wörter mit Umlaut bzw. Diarese doppelt, aber mit unterschiedlicher Schreibweise aufgeführt, was beim Korrekturlesen wohl übersehen wurde (“Valentin Haüy, Religiöse Erziehung im Kindergarten“ und “Heinrich Stötzner“).
Neben diesen Fehlern formaler Art, die hier aufzuführen fast etwas kleinlich anmutet, gibt es einige missverständliche, irreführende oder wenig informative Beiträge. Missverständlich ist zum Beispiel das Lemma “Erwartungen“, denn dargestellt werden lediglich selbstbezogene Erwartungen im Sinne von motivationalen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, jedoch nicht soziale Erwartungen. Da es zur “Selbstwirksamkeit“ ein eigenes Lemma gibt, wird das Konstrukt der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, die auch Selbstwirksamkeitserwartungen genannt werden, begrifflich gleichsam auseinandergerissen. Soziale Erwartungen (wozu es kein eigenes Lemma gibt) werden dann unter Self-fulfilling prophecy und Pygmalioneffekt abgehandelt, ohne dass darauf verwiesen wird.
Missverständlich sind auch die Lemmata “Literacy“ und “Literacy-Erziehung“, jedenfalls wenn man sie nacheinander konsultiert. Denn im einen Fall “(Literacy)“ wird betont, Literacy würde über sprachliche Literalität hinausgehen, während Literacy im anderen Fall “(Literacy-Erziehung)“ auf Sprache begrenzt wird. Umso verwirrender ist dann, wenn auch noch ein Lemma “Literalität“ auftaucht, das auf Schriftkultur fokussiert ist.
Missverständlich ist des Weiteren das Lemma “Entwicklungstheorie“, das man geneigt ist, in Analogie zu den psychologischen Lemmata “Attributionstheorie, Lerntheorien“ und “Subjektive Theorien“ zu setzen, das aber ausschließlich soziologische Theorien der (gesellschaftlichen) Entwicklung thematisiert. Es wäre wohl besser gewesen, das Lemma „Soziologische Entwicklungstheorie“ zu nennen.
Nicht nur missverständlich, sondern geradezu verworren ist das Lemma “Pädagogische Psychologie“. Schon der Einleitungssatz ist konfus: „Pädagogische Psychologie ist eines der ältesten und wichtigsten Anwendungsfächer der Pädagogik“ (Bd. 2, 480). Ist die Pädagogische Psychologie nicht ein Anwendungsfeld der Psychologie? Was wird hier unter Pädagogik verstanden? Ist die Erziehungswissenschaft oder die praktische Pädagogik gemeint? Aber weder die eine noch die andere werden durch Anwendung ihrer Erkenntnisse zu (Pädagogischer) Psychologie! Was dann folgt, kommt einem name dropping gleich, beginnend bei Platon und endend bei Weinert und Berliner, das dem Leser keinen weiteren Aufschluss über die Pädagogische Psychologie gibt. Kaum nachvollziehbar ist auch der folgende Satz: „Pädagogische Psychologie stellt […] eine integrierende Klammer für alle Bemühungen dar, die zu einer besseren Beschreibung, Analyse, Vorhersage und Optimierung von Erziehungs-, Entwicklungs- und Bildungsprozessen in allen Altersstufen beitragen“ (Bd. 2, 480). Würde man diese integrative Leistung nicht eher der Erziehungswissenschaft zuweisen? Leser und Leserin werden auch nicht schlauer über den Status der Pädagogischen Psychologie, wenn ihnen im Folgenden langfädig aufgezählt wird, womit sich die Pädagogische Psychologie befasst, nämlich mit einer Fülle von Themen, die auch in der Erziehungswissenschaft und ihren Teildisziplinen bearbeitet werden. Was also ist Pädagogische Psychologie?
Wenig erhellend ist das Lemma “Heimlicher Lehrplan“. Obwohl der Begriff aus dem Amerikanischen stammt, wird zu seinen Quellen nichts gesagt, sondern pauschal von einem „Sammelbegriff“ gesprochen, dessen „Karriere […] in Deutschland in den späten 1960er Jahren“ (Bd. 2, 30) begonnen habe. Ein wesentliches Kapitel seiner Begriffsgeschichte wird damit ausgeblendet.
Erstaunlich ist das Lemma “Geschlechterunterschiede“, das zwar bekannte biologische Differenzen zwischen Mann und Frau aufzählt, auf psychische Geschlechtsunterschiede aber nicht eingeht, obwohl der Autor dazu zweifellos in der Lage gewesen wäre. Ähnliches gilt für das Stichwort “Betreuung“, das ausschließlich die rechtliche Betreuung Volljähriger (im Sinne der Vormundschaft), aber nicht die pädagogische Betreuung, wie sie in Horten oder Krippen stattfindet, darstellt. Zur pädagogischen Betreuung finden sich Hinweise in den Lemmata “Hort, Inobhutnahme, Kindertagespflege, Kindertagesstätte, Krippe“ und “Tageseinrichtungen für Kinder“.
Wenig Informationen bietet das Lemma “Sexualerziehung in der Schule“, da es nicht wirklich über Sexualerziehung aufklärt, sondern im Wesentlichen einen Entscheid des deutschen Bundesverfassungsgerichts erläutert, der die Legitimität von schulischem Sexualunterricht bestätigt. Immerhin finden sich dann im Lemma “Sexualpädagogik“ einige sachdienliche Hinweise.
Beim Lemma “Selbstwert“ ist der Literaturhinweis unpassend, geht es in dem Buch von Albert Bandura (Self-Efficacy. New York: Freeman 1997) doch nicht um Selbstwert, sondern um Selbstwirksamkeitsüberzeugungen.
Kritisieren ließen sich schließlich auch Lemmata, die man vermisst. Obwohl es schwerfällt und von Vorentscheidungen abhängt, was man als fehlend empfindet, kann man sich doch fragen, weshalb es zu den folgenden, pädagogisch nicht unwichtigen Themen keine Stichwörter gibt: Aggression, Autorität, Curriculum, Denken, Diagnostik, Entschulung, Evaluation, Freizeit, Gespräch, Kasuistik, Kohorte, Kulturtechniken, Lebenswelt, Macht, Mobbing, Musik, Nachahmung, Privatschule, Scheidung, Sport und Vorbild. Vergleichbares gilt für Personennamen, die man vergeblich sucht, wie Urie Bronfenbrenner, Felix von Cube, Edouard Claparède, Friedrich Edding, Erik H. Erikson, Anna Freud, Sigmund Freud, Erich Fromm, Eberhard Grisebach, Hartmut von Hentig, Saul B. Robinsohn, Carl Rogers oder Hans Zulliger. Allerdings muss man sogleich einräumen, dass viele dieser vermissten Begriffe und auch einige der vermissten Namen im KLE sehr wohl vorkommen, nur nicht in der Position eines (eigenen) Lemmas. Damit komme ich zur Verweisungsstruktur des KLE, die nicht ganz zu überzeugen vermag.
(III) Kritik der Verweisungsstruktur des KLE
Sich in einem so umfangreichen Werk wie dem KLE, das sich in der Tradition des „Encyklopädischen Handbuchs der Pädagogik“ von Rein und des „Handbuchs der Pädagogik“ von Nohl und Pallat sieht (Bd. 1, 7f.), zurechtzufinden, ist keine leichte Sache, umso weniger, als man über die Verknüpfungen zwischen den Lemmata kaum etwas erfährt. Wenn die Herausgeber erwarten, dass das KLE nicht nur „Fachkollegen als Referenzwerk nützlich sein“ (Bd. 1, 8), sondern auch „Studierenden einen Einstieg in die Begriffswelt und Wissensgebiete der Erziehungswissenschaft bieten“ (ebd.) wird, dann hätten sie auf mehr Leserlenkung setzen müssen. Denn zwischen den Lemmata gibt es praktisch keine Verweise. Es gibt sie nur bei Ländern, die keinen eigenen Eintrag aufweisen, oder wenn Abkürzungen genannt werden. So gibt es einen Verweis von “Jemen“ auf “Arabische Staaten“ und einen Eintrag “KMK“, der auf das Lemma “Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland“ verweist. Ansonsten verzichtet das KLE ausdrücklich auf Querverweise (Bd. 1, 10).
Als Orientierungshilfe erhält man im Vorwort den Hinweis, dass die Stichwörter insgesamt 16 Fachgebiete abdecken, nämlich: Allgemeine Erziehungswissenschaft, Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Bildungspolitik, Erwachsenen- und Weiterbildung, Familie und Vorschulerziehung, Historische Erziehungswissenschaft, Interkulturelle Pädagogik, Medienpädagogik, Methoden der erziehungswissenschaftlichen Forschung, Psychologie, Recht, Schulpädagogik, Sonderpädagogik, Sozialpädagogik, Soziologie und Vergleichende Erziehungswissenschaft (Bd. 1, 8). Diese Ordnung, so plausibel sie scheint, ist aber nur dem bereits informierten Leser hilfreich, denn in nicht wenigen Fällen gibt es kein Lemma, das sich zum Einstieg in das jeweilige Fachgebiet nutzen ließe. Das betrifft die Historische Erziehungswissenschaft, die Methoden der erziehungswissenschaftlichen Forschung, die Psychologie, die Soziologie und das Recht. Die übrigen Fachgebiete sind zwar mit einem eigenen Eintrag vertreten, doch fehlen Verweise auf die dem Gebiet zugehörigen Lemmata. Auch dem informierten Leser, der die Gliederung des KLE nachvollziehen kann, fällt es daher oft schwer, die alphabetisch – und nicht nach den genannten Fachgebieten – angeordneten Lemmata richtig zuzuordnen.
Zudem liegen die Fachgebiete nicht auf derselben Ebene. Bildungspolitische und rechtliche Fragen stehen ebenso wie die Methoden der erziehungswissenschaftlichen Forschung gleichsam quer zu den übrigen Bereichen. Denn Rechtsfragen stellen sich nicht an sich, sondern in Bezug auf institutionelle Kontexte, wie sie durch die Berufs- und Wirtschaftspädagogik, die Medienpädagogik, die Schulpädagogik, die Sonderpädagogik und die Sozialpädagogik abgedeckt werden. Auch erziehungswissenschaftliche Forschung wird nicht an sich betrieben, sondern ist eingebunden in die Teilgebiete der Disziplin.
Des Weiteren fragt sich, wie erschöpfend die 16 Fachgebiete für die Stichwörter des KLE sind. So fällt (positiv) auf, dass viele biologische Lemmata aufgenommen wurden, wie z.B. “Biologie und Pädagogik, Eugenik, Evolution, Genetik, Prägung, Reifung“ und “Sensible Phase“. Wo aber sind sie zuzuordnen? Bei der “Allgemeinen Pädagogik“ eher nicht. Aber wo dann? Auch im Falle philosophischer, ethischer und wissenschaftstheoretischer Lemmata – wie z.B. “Erfahrung, Erkenntnis, Ethik, Freiheit, Glück, Moral, Philosophie und Pädagogik, Sokratischer Eid, Wissen, Wissenschaftstheorie –“, die nicht nur gut repräsentiert, sondern im Allgemeinen auch sehr gut verfasst sind, stellt sich die Frage nach ihrer Zuordnung. Schließlich gibt es eine Reihe von Nachbardisziplinen der Erziehungswissenschaft, die sich auch nicht (leicht) in das Schema der 16 Fachgebiete einpassen lassen, wie z.B. “Anthropologie, Demografie, Differentielle Entwicklungspsychologie, Ethnologie, Kulturanthropologie, Neurowissenschaften, Psychiatrie, Psychotherapie, Tiefenpsychologie“ und “Psychoanalyse“ (die nicht nur ein eigenes Lemma erhalten hat, sondern auch noch als “Psychoanalytische Pädagogik“ präsent ist).
Die Stichwörter des KLE bestehen im Allgemeinen aus einem Wort oder einer Wortverbindung. Außer bei den Personenporträts, wo zuerst der Nachname und dann, durch ein Komma abgetrennt, der oder die Vorname(n) erscheint, gibt es keine Kommas innerhalb der Lemmata. Das heißt, dass es vor allem keine nachgestellten Adjektive gibt. Das hat eine gewisse Tendenz zur Substantivierung zur Folge wie im Falle von “Denkentwicklung“ (statt kognitive Entwicklung), “Gedächtnisentwicklung“ (statt Entwicklung des Gedächtnisses), “Sprachentwicklung“ (statt sprachliche Entwicklung) oder “Moralentwicklung“ (statt moralische Entwicklung). Dass dies nicht immer durchgehalten werden konnte, zeigen Lemmata wie “Sozial-kognitive Entwicklung“ und “Psychosexuelle Entwicklung“, bei denen das Attribut dem Subjekt vorangestellt und groß geschrieben wird. „Motorische Entwicklung“ gibt es im Übrigen ebenso wenig wie „Emotionale Entwicklung“ oder „Sozio-emotionale Entwicklung“. Jedoch gibt es ein Lemma “Motorisches Lernen“ und eines “Soziales Lernen“, bei denen das Adjektiv ebenfalls vorangestellt und groß geschrieben wird.
Dass Adjektive nicht nachgestellt, sondern vorangestellt und groß geschrieben werden, ist so lange kein Problem, wie es sich um feststehende Ausdrücke oder Wendungen handelt. Es gibt im KLE jedoch eine Reihe von Lemmata, die diesen Status (noch) nicht haben und daher nicht leicht aufzufinden sind. Das gilt nach meiner Einschätzung beispielsweise in den folgenden Fällen: “Aggressives Verhalten“ (das im Übrigen ausschließlich als Störung abgehandelt wird), “Auswärtige Kulturpolitik, Heterogene Lerngruppen, Interkulturelle Genderforschung und Kultursensibler Mathematikunterricht“. Auch wenn diese Fälle nicht häufig sind, können sie die Orientierung erschweren.
Dies ist zusätzlich der Fall, wenn es sich um Begriffsfelder handelt. So steht das Lemma “Lernen“, das übrigens pointiert pädagogisch bzw. philosophisch und nicht psychologisch abgehandelt wird, innerhalb des KLE in einem Umfeld, in dem weitere, vor allem pädagogische Aspekte des Lernens thematisiert werden, wie z.B. “Lernbüros, Lernen für Europa, Lerninsel, Lernsoftware“ und “Lernziel“. Will man jedoch weitere Elemente des Begriffsfeldes – vor allem stärker psychologisch ausgerichtete – aufsuchen, fällt die Orientierung schwer, da sich die entsprechenden Lemmata nicht im unmittelbaren örtlichen Umfeld des Lernbegriffs finden, sondern über die drei Bände des KLE verstreut sind. Das betrifft Lemmata wie “Beispielbasiertes Lernen, Blended Learning, Dezentrales Lernen, E-Learning, Entdeckendes Lernen, Erlernte Hilflosigkeit, Gedächtnismodelle, Globales Lernen, Konditionierung, Konstruktivistische Lerntheorie, Kooperatives Lernen, Lebenslanges Lernen, Mastery Learning, Modelllernen, Prägung, Problembasiertes Lernen, Selbstgesteuertes Lernen, Situiertes Lernen, Stationenlernen, Transfer, Üben, Vergessen“ und “Vernetzte Lernkultur“.
Gleiches gilt für Begriffsfelder, die für die Disziplin Erziehungswissenschaft zentral sind und durch Kernbegriffe der Disziplin wie “Bildung, Erziehung, Unterricht“ und “Schule“ aufgespannt werden, deren Verzweigungen sich dem Leser jedoch nur erschließen, wenn er die drei Bände des KLE oder das Stichwortverzeichnis systematisch durcharbeitet.
Dies sei noch an einem weiteren Beispiel illustriert, nämlich an den „Bindestrichpädagogiken“ der verschiedensten Art, die im KLE gut repräsentiert sind. Es gibt über 60 solcher Bindestrichpädagogiken, von denen hier nur ein paar genannt seien: “Antipädagogik, Deskriptive Pädagogik, Dritte-Welt-Pädagogik, Ethnopädagogik, Experimentelle Pädagogik, Evolutionäre Pädagogik, Fröbelpädagogik, Gedenkstättenpädagogik, Industriepädagogik, Interkulturelle Theaterpädagogik, Kolonialpädagogik, Kybernetische Pädagogik, Motopädagogik, Narrative Pädagogik, Operative Pädagogik, Rehabilitationspädagogik, Sowjetpädagogik, Transkulturelle Pädagogik, Umweltpädagogik, Waldorfpädagogik“ und “Weltanschauungs-Pädagogik“. Gerade hinsichtlich der disziplinären Struktur der Erziehungswissenschaft, von der die Bindestrichpädagogiken einen Eindruck geben, ist es angesichts der fehlenden Querverweise nicht leicht, die Schätze zu heben, die das KLE bereithält. Übrigens findet sich unter „Pädagogik“ kein eigenes Lemma, sondern nur ein Verweis auf das Lemma “Erziehungswissenschaft-Pädagogik“.
Interessanterweise fehlen im schwer überschaubaren Arsenal der Bindestrichpädagogiken die Historische Pädagogik und die Systematische Pädagogik bzw. die Historisch-Systematische Pädagogik. Allerdings wird man über Systematische Pädagogik im Lemma “Allgemeine Pädagogik“ informiert, was aber nur erfährt, wer dort gezielt einsteigt. Zudem gibt es ein Lemma “Historisch-systematische Methode“, wo der Begriff der Historisch-Systematischen Pädagogik aber nicht erscheint und auch nicht auf da