Weinheim/Basel: Beltz 2007
(786 S.; ISBN: 978-3-407-83155-2; 98,00 EUR)
(1) Das BELTZ Lexikon Pädagogik sei „nach Anspruch und Form ein neues Angebot“ (V), schreiben die Herausgeber in der Einleitung. Inwiefern das Angebot neu ist, wird nicht ausgesprochen; in Bezug auf die “Form“ ist zumindest neu, dass die klassische Lexikonstruktur der kurz gehaltenen Lemmata durchbrochen wird, indem zu einer Reihe von einschlägigen Begriffen Überblicksartikel (ÜA) geboten werden, die entweder zwei, vier oder (in einem Fall) acht Seiten umfassen. Dadurch lässt sich das Lexikon nicht nur als Wörterbuch, sondern auch als Handbuch nutzen. Während der Wörterbuchteil vorwiegend die “öffentliche“ Kommunikation über Bildung und Erziehung repräsentieren soll, steht der Handbuchteil für die Grundbegriffe der Erziehungswissenschaft, die pädagogischen Handlungsfelder und die theoretische Binnenstruktur der Disziplin (VII).
Als Adressaten ihres Lexikons nennen die Herausgeber die “pädagogische Öffentlichkeit,“ die “pädagogischen Berufe,“ die “Studierenden,“ die “Nutzer erziehungswissenschaftlicher Forschung“ und “die Kollegen im Fach“ (XI). Das ist ein breites Publikum, das ungleiche Bedürfnisse und divergente Ansprüche hat und nur schwer mit “demselben“ Nachschlagewerk bedient werden kann. Zwar glauben die Herausgeber, die Lexikografie der Erziehungswissenschaft würde „jetzt die Arbeit einer forschenden, fachlich breit ausdifferenzierten, thematisch wie methodisch zugleich zunehmend unübersichtlicher werdenden Disziplin“ (VI) spiegeln. Doch ist kaum zu übersehen, dass (auch) das BELTZ Lexikon Pädagogik für eine Disziplin steht, die von ihrer praktischen und politischen Inanspruchnahme stark bestimmt wird.
Pädagogik, wie sie lexikalisch dargestellt wird, ist selten nur pädagogische “Wissenschaft,“ sondern zumeist auch Handlungswissen für eine “Profession“ und eine “Administration,“ die national oder subnational organisiert sind und einer praktischen, nicht einer theoretischen Logik folgen. Zudem sind Bildung und Erziehung auch, wenn nicht sogar in erster Linie Angelegenheiten von pädagogischen Laien – vor allem Eltern und Funktionären in Jugendorganisationen, Vereinen oder Freizeiteinrichtungen. Die Heterogenität der pädagogischen Berufs- und Praxisfelder spiegelt sich in der “Disziplin“ Erziehungswissenschaft, deren innere Differenzierung nicht einer fachlichen Systematik folgt, sondern Ausdruck der gesellschaftlichen Bedeutung pädagogischer Institutionen ist. Entsprechend verhalten, fast schon resignativ nimmt sich der ÜA “Systematische Pädagogik“ aus. Und die “Allgemeine Pädagogik“ hat nicht einmal ein eigenes Lemma erhalten, sondern nur den Verweis auf “Systematische Pädagogik.“
Das Unterfangen, die Pädagogik bzw. Erziehungswissenschaft lexikalisch darzustellen, kommt angesichts der Heterogenität ihres Adressatenkreises einer Quadratur des Kreises gleich. Entsprechend leicht hat es der Rezensent, auf Mängel des BELTZ Lexikons Pädagogik hinzuweisen. Diese liegen allerdings nicht nur in der Natur der Sache, sondern auch in einer gewissen Nonchalance, mit der die rund 6000 Stichwörter und 64 Überblicksartikel redigiert wurden. Möglicherweise ist die schiere Menge an Einträgen der ‚neue Anspruch’, den das Lexikon setzen will. Denn auf dem rückwärtigen Einband kann man lesen: „Das hat es noch nie gegeben: ein derart umfassendes pädagogisches Nachschlagewerk.“ Doch die Frage stellt sich, ob in der Quantität ein Zeichen für Qualität liegen kann. Hilft einem ein Lexikon mit 6000 Lemmata weiter als eines mit 100, 200, 1700 oder 2500? [1]
(2) Was schon bei kursorischer Durchsicht des BELTZ Lexikons Pädagogik auffällt, ist der unterschiedliche begriffliche und informatorische Status der Lemmata. Nicht selten liegen die Stichwörter auf dem Niveau eines Konversationslexikons, so wenn umgangssprachlich geläufige Begriffe wie “Ferien, Kameradschaft, Mundart, Radio, Sportplatz, Taschenrechner, Verein“ oder “Zeitung“ erläutert werden. Auch Wörter aus der pädagogischen Alltagssprache finden sich des Öfteren, wie z.B. “ABC-Schütze, Babysitter, Nestwärme“ oder “Sandkasten“ (das zuletzt genannte Lemma zudem mit einer eigenartigen Erklärung).
Auffällig sind die vielen, ebenfalls einem Konversationslexikon angemessenen Lemmata aus dem Bereich der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, wie z.B. “Browser, CD-ROM, Chat, DVD, Hardware, Internet, Lurker, Personal Digital Assistant (PDA), Programmieren, SMS, Software, VHS“ oder “World Wide Web.“ Weshalb diese Lemmata, die weder spezifisch pädagogisch noch vollständig sind – es fehlen z.B. “Beamer, E-Mail, Hacker, Homepage, Provider, Server“ oder “Website“ – ins Lexikon aufgenommen wurden, bleibt rätselhaft. Es kann ja nicht die Meinung sein, Pädagogen hätten hier einen besonderen Nachholbedarf.
Auf dem Niveau eines Konversationslexikons liegen weitere “nicht-pädagogische“ Lemmata, bei denen man sich ebenfalls fragt, was wohl der Grund für ihre Aufnahme ins BELTZ Lexikon Pädagogik sein könnte, wie z.B. “Askese, Erotik, Freizeitlektüre, Harvard-Methode, Homosexualität, Konsum, Militärdienst, Wirtschaftswachstum“ oder “Xanthippe.“ In keinem Fall findet sich ein Hinweis auf die pädagogische Relevanz dieser Lemmata.
Schwer nachvollziehbar ist, weshalb vergleichsweise viele englischsprachige Ausdrücke aufgenommen wurden, für die es deutsche Äquivalente gibt, die aber entweder nur in Klammern genannt werden oder als eigene Lemmata erscheinen, ohne dass auf sie verwiesen würde. So z.B. “Construction, Epistemological Beliefs, Factual Knowledge, Recycling“ oder “Sustainable Development“ (deutsch gibt es nur “Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ und “Nachhaltigkeit,“ auf die aber nicht verwiesen wird). Solche englischsprachigen Lemmata machen Sinn, wenn es um Begriffe geht, die sich entweder nur schwer ins Deutsche übersetzen lassen oder die auch im Deutschen geläufig sind, wie z.B. “Assessmentcenter, Blended Learning, Brainstorming, Demand Characteristics, Edutainment, Gender, Learning by Doing, Mind Map, Reader“ oder “Workshop.“
In anderen Fällen, so vor allem wenn derselbe Begriff nicht nur englisch, sondern als separates Lemma auch deutsch aufgeführt wird, entsteht Verwirrung. Das gilt z.B. im Falle von “Developmental Scale“ und “Entwicklungsskala, Labeling-Approach“ und “Etikettierungstheorie“ (zudem gibt es das Lemma “Stigmatisierung), Learning Environment“ und “Lernumgebung, Reinforcement“ und “Verstärkung“ (es gibt auch ein Lemma “Verstärker“) oder “Role-Taking“ und “Rollenübernahme“. Handelt es sich hier um Übersetzungen? Aber weshalb werden die Begriffe dann an “beiden“ Stellen – beim deutschen und beim englischen Lemma – erläutert? Im Falle von “Learning Environment“ gibt es zudem als Entsprechung nicht nur eine “Lernumgebung“, sondern auch eine “Lehrumgebung“, die jedoch praktisch bedeutungsgleich erläutert wird. Des Weiteren finden sich die Begriffe “Lernumwelt“ und “Lernsituation“. Da zwischen den Einträgen kaum Verweise bestehen (nur gerade von “Lernsituation“ wird auf “Lernumgebung“ verwiesen), ist schwer auszumachen, wie sich dieses Geflecht an nahezu synonymen Begriffen entwirren lässt und welches die angemessene Übersetzung von “Learning Environment“ wäre.
Ins BELTZ Lexikon Pädagogik ist auch eine stattliche Anzahl forschungsmethodischer und statistischer Lemmata aufgenommen worden. Darin lässt sich ein Vorzug sehen; denn die Disziplin wird damit klar als Forschungswissenschaft präsentiert. Die Erläuterungen sind jedoch gerade bei diesen Lemmata zum Teil äußerst knapp, und oft ist der methodologische Bezug nicht auf Anhieb klar, wie z.B. bei “Bias, Gewichtung“ oder “Zufallsfehler“.
Die Erläuterungen zu den forschungsmethodischen Stichwörtern sind nicht nur zumeist kurz, sondern vielfach ohne Vorkenntnisse kaum zu verstehen. Das gilt etwa für Lemmata wie “Alternativhypothese, Aposteriori-Wahrscheinlichkeit, Bandbreite-Fidelitäts-Dilemma, Bayes-Statistik“ (zudem erfährt man gerade das Entscheidende nicht, was nämlich die Bayes-Statistik vom gängigen, frequentistischen Modell der Inferenzstatistik unterscheidet), “Beta-Fehler, Binomialtest, Irrtumswahrscheinlichkeit“ (der Verweis auf das Lemma “Fehler“ ist zudem falsch; richtigerweise sollte auf “Zufallsfehler“ verwiesen werden), “Korrelationsmatrix, Prädikatorvariable“ (richtig wäre: “Prädiktorvariable), Regressions-Diskontinuitäts-Analyse (RDA)“ oder “Verifikationsexperiment“. Weshalb hier keine weiterführende Literatur angegeben wird – im Unterschied zu den ebenfalls zahlreichen Lemmata historischer und biografischer Art – ist unverständlich, handelt es sich dabei doch um eine vergleichbare Situation (vgl. die Begründung der Herausgeber für Literaturhinweise bei historischen und biografischen Artikeln, XI).
(3) Ein Problem eigener Art stellen die Verweise innerhalb des Lexikons dar. Es wird auf Lemmata verwiesen, die es nicht gibt, und es fehlen Verweise auf Lemmata, die vorhanden wären. So wird von “Hardware“ und “Personal Digital Assistant“ sowie vom ÜA “Geschichte der Erziehung“ auf “Computer“ verwiesen, “Computer“ gibt es aber als separates Lemma nicht. Im ÜA “Bildungssystem international“ wird auf die “UdSSR“ und auf “Monitoring“ verwiesen, aber weder das eine noch das andere Lemma ist auffindbar (auch unter “Bildungsbericht“ und dem ÜA “Schulreform“ wird auf “Monitoring“ verwiesen). Im ÜA “Interaktion und Kommunikation“ findet sich ein Verweis auf “symmetrische Kommunikation“, doch auch hier gilt, dass das betreffende Lemma nicht vorkommt. Im ÜA “Internationale Organisationen“ und “internationale Kommunikation“ wird auf die “Weltbank“ und auf “Globalisierung“ verwiesen. Die “Weltbank“ gibt es aber als eigenes Lemma nicht, und statt “Globalisierung“ findet man an anderer Stelle ein Stichwort zu “Anti-Globalisierung“ (allerdings gibt es einen ÜA “Internationalisierung und Globalisierung“, auf den aber “nicht“ verwiesen wird). Von “Bildung“ wird auf “Gebildete“ verwiesen, von “Dienstkraft“ auf “öffentlicher Dienst“, von “Distance Learning“ auf “Fernstudium“, von “Elektrakomplex“ auf “Ödipus-Komplex“, von “Figuration“ auf “Zivilisationstheorie“, von “Formalstufen“ auf “Herbartianismus“, von “Gesellschaftskritik“ auf “Chancengleichheit“, von “Hauslehrer“ auf “Gouvernante“, von “kybernetischer Pädagogik“ auf “Technologie des Unterrichts“, von “pädagogische Jugendforschung“ auf “M.[artha] Muchow“, von “Reader“ auf “Lehrgebiet“, von “sozialer Schicht“ auf “soziale Milieus“, von “Sprachpsychologie“ auf “Psycholinguistik“, vom ÜA “Erziehung“ auf “Technologieproblem“ und vom ÜA “Geschichte der Erziehung“ auf “C.H. Wolke“ – aber keines der Stichwörter, auf die verwiesen wird, ist in dieser Form auffindbar.
Es gibt auch Endlosschleifen. So wird vom ÜA “Systematische Pädagogik“ auf “Allgemeine Pädagogik“ verwiesen, wo aber nur der gegenläufige Verweis auf den ÜA “Systematische Pädagogik“ zu finden ist. Dasselbe gilt für den ÜA “Familie“: Folgt man dem Verweis auf “Familienerziehung“, so wird man auf den ÜA “Familie“ zurückverwiesen. Eine Endlosschleife eigener Art ist der Selbstverweis im ÜA “Lehren und Lernen“, wo man auf eben diesen Artikel verwiesen wird (455).
Auch Sackgassen finden sich. So im Falle von IKT, wo man auf “Informations- und Kommunikationstechnologien“ verwiesen und von dort auf den ÜA “Interaktion und Kommunikation“ weiter geleitet wird. Dort aber erfährt man über “Technologien“ der Interaktion oder Kommunikation nichts. Beim Lemma “IuK (Informations- und Kommunikationstechnologien)“ wird ausgeführt, worum es geht; man wird aber auch auf die Einträge “Information, Kommunikation“ und “Informationsverarbeitung“ verwiesen, wobei es bei “Kommunikation“ wiederum einen Verweis auf den ÜA “Interaktion und Kommunikation“ gibt, wo aber – wie gesagt – über technische Aspekte der Kommunikation nichts zu lesen ist. “Nicht“ verwiesen wird an beiden Stellen – “IKT“ und “IuK“ – auf das Lemma “Informationstechnologie“, das es ebenfalls gibt. Der dortige Verweis auf “Technologien“ ist dann aber wiederum falsch bzw. irreführend.
In anderen Fällen fehlen Verweise, wie z.B. zwischen “Affekt“ und “Emotion, Alltag“ und “Lebenswelt, Altenbildung“ und “Seniorenbildung, Bias“ und “Zufallsfehler, Cognitive Apprenticeship“ und “Apprenticeship Learning, Gleichheit“ und “Ungleichheit, Humangenetik“ und “Genetik, Interaktion“ und “Wechselwirkung, Phasenmodell“ und “Stadienmodell, Professionalisierung“ und “Deprofessionalisierung, Randbedingung“ und “Erklärung“ oder “soziale Schicht“ und “Schichtbegriff“. In einigen Fällen ließen sich solche Verweise nachträglich leicht einfügen, in anderen Fällen wären Eingriffe nötig, um die begriffliche Struktur herauszuarbeiten.
Das gilt etwa für das semantische Netz des Lemmas “Schülervorstellungen“. Das Lemma steht isoliert da, ohne jeden Verweis auf ähnliche Eintragungen, die es gibt, wie insbesondere “Preconception, Misconception“ und “Conceptual Change“. Die Erläuterungen der Lemmata sind kaum aufeinander abgestimmt. Von „mentalen Repräsentationen“ ist die Rede, von „Vorstellungen“, „Vor-Vorstellungen“, „Konzeptionen“ und „Alltagskonzepten“, so dass es schwer fällt zu erkennen, wie die Begriffe semantisch zusammenhängen. Da es sich in drei Fällen zudem um englische Ausdrücke handelt, erfährt der Leser auch nicht, wie er die Termini sinnvoll ins Deutsche übersetzen soll.
Ein vergleichbares Problem stellt sich im Falle der ähnlichen, wenn nicht synonymen Begriffe “Identifikation, Interiorisation, Internalisierung“ und “Introjektion“. Die Termini haben je ein eigenes Lemma, zwischen denen aber nur partiell verwiesen wird. Da die Begriffserläuterungen in allen vier Fällen mit dem Konzept der ‚Verinnerlichung’ operieren, bleibt offen, inwiefern sich die Lemmata überhaupt voneinander unterscheiden.
Das zuletzt genannte Beispiel macht auf ein weiteres Problem aufmerksam. Eine ganze Reihe von Lemmata macht nämlich den Eindruck von Synonymen. Das gilt etwa für folgende Beispiele: “Alltagstheorie“ und “pragmatische Alltagstheorie, Aptitude-Treatment-Interaction“ (hier findet sich zudem ein weiterer Schreibfehler; das Lemma ist daher falsch platziert) und “ATI-Forschung“ (zudem gibt es das Lemma “Attribute-Treatment-Interaction), Attribution“ und “Kausalattribution, Auslegung“ und “Sinnauslegung, Destruktion“ und “Zerstörung, Distanz“ und “soziale Distanz, Empathie“ und “Perspektivenübernahme, Fallibilismus“ und “Falsifikationismus“ (zudem gibt es das Lemma “Falsifikation), Gesprächspsychotherapie“ und “klientenzentrierte Therapie, Gruppentherapie“ und “Gruppenpsychotherapie, kriterienorientierter Test“ und “lernzielorientierter Test, Lebensalter“ und “Lebenszyklus, Mediatorvariable“ und “Moderatorvariable, Missbrauch“ und “sexueller Kindesmissbrauch, nicht direktive Beratung“ und “nondirektive Gesprächsführung, Orthografie“ und “Rechtschreibung, Polytechnikunterricht“ und “polytechnischer Unterricht, Rolle“ und “soziale Rolle, Schüler- und Jugendwettbewerb“ und “Schülerwettbewerb, Test“ und “standardisierter Test, Therapie“ und “Psychotherapie“ etc. Zweifellos kann es Sinn machen, begrifflich fein zu differenzieren, wenn aber zwischen Lemmata, die sich nicht nur in der Bezeichnung, sondern auch in der begrifflichen Erläuterung kaum unterscheiden, keine Verweise bestehen, wie bei den meisten der zitierten Beispiele, besteht der Verdacht, dass nicht wirklich Unterschiedliches, sondern Identisches aufgeführt wird. Dann aber wäre eine Erläuterung an einer Stelle ausreichend, und beim zweiten Lemma würde ein Verweis genügen, wie dies in anderen Fällen durchaus gemacht wird (z.B. “Bekräftigung“ und “Verstärkung, Kinderrechtskonvention“ und “UN-Charta der Rechte des Kindes, Mongolismus“ und “Down-Syndrom“ oder “Split-Half-Reliabiltät“ und “Testhalbierungsmethode)“.
Dass zumindest in einigen Fällen tatsächlich vom Gleichen die Rede ist, zeigen die Lemmata “Handeln“ und “pädagogisches Handeln“. Die entsprechenden Erläuterungen sind nämlich zum großen Teil textidentisch! Ähnliches gilt für die Lemmata “Drogen“ und “Rauschmittel“, die textlich ebenfalls weitgehend identisch erläutert werden. Bei beiden Beispielen gibt es im Übrigen keine Verweise vom einen auf das andere Lemma. Die redaktionell wenig bearbeitete Verweisungsstruktur des Lexikons sowie der Eindruck, dass es sich bei nicht wenigen Lemmata um Synonyme handelt, wecken den Verdacht, dass eine ansehnliche Zahl von Stichwörtern unabhängig voneinander ins Lexikon aufgenommen wurde. Wusste vielleicht die eine Hand nicht immer, was die andere tat?
Ich möchte nicht bestreiten, dass es gerade in einem begrifflich wenig konsolidierten Feld wie dem pädagogischen Sinn machen kann, viele – auch viele ähnliche – Begriffe in ein Lexikon aufzunehmen. Aber ohne Hilfe zur Klärung der zum Teil schillernden Vielfalt der Begriffe wird eher Desorientierung als Orientierung erzeugt. Wenn Lexikon- und Wörterbucharbeit „immer auch Arbeit an der Fachsprache (ist)“ (VII), dann fragt man sich, wie viel von dieser Arbeit ins BELTZ Lexikon Pädagogik eingeflossen ist. Soll sich das Lexikon zudem nicht nur als Nachschlagewerk eignen, sondern auch die „Möglichkeit … zum Vertiefen pädagogischer Zusammenhänge“ (rückseitiger Bucheinband) bieten, so zeigen schon die bisher genannten Mängel, dass der Verlag zu viel verspricht.
Zweifellos ist die Verweisungsstruktur des BELTZ Lexikons Pädagogik nicht generell defizitär. In vielen, wenn nicht den meisten Fällen sind die Verweise angemessen, und der Leser ist sehr wohl in der Lage, begriffliche Verflechtungen richtig zu erkennen. Gelegentlich wird auch auf Synonyme (seltener auf Antonyme) aufmerksam gemacht. Zudem werden einzelne Lemmata zusätzlich mit Tabellen oder Abbildungen erläutert. Einem Teil der biografischen Porträts sind Fotografien zugesellt. Allerdings kann gerade im Falle der Abbildungen eine weitere Kritik nicht unterdrückt werden; denn oft ist schwer zu erkennen, welchem Lemma eine Grafik zugeordnet ist (vgl. z.B. 123, 135, 188, 242, 492 oder 626).
(4) Nachdem wir uns bisher vorwiegend mit der Architektur des Lexikons befasst haben, sollen im Folgenden die Inhalte etwas näher angeschaut werden. Dabei möchte ich nicht verhehlen, dass ich als psychologisch ausgerichteter Vertreter der Disziplin Erziehungswissenschaft die Akzente wohl etwas anders setzen werde, als dies Vertreter anderer pädagogischer Teildisziplinen vermutlich tun würden.
Stellt man in Rechnung, dass die Psychologie eine der wichtigsten Bezugsdisziplinen der Erziehungswissenschaft bildet, ist bedauerlich, dass der “Pädagogischen Psychologie“ – anders als der “Bildungsökonomie“ und der “Neurophysiologie“ – kein Übersichtsartikel zugestanden wurde. Es kann allerdings nicht übersehen werden, dass eine Vielzahl von Lemmata psychologischer Art ist. Das betrifft vor allem die Bereiche Lernen, Entwicklung, Diagnostik, aber auch Begabung und Intelligenz, Beratung, Prävention und Intervention, Unterrichtsforschung sowie Kommunikation.
Dabei erstaunt, wie prominent tiefenpsychologische, insbesondere psychoanalytische Konzepte vertreten sind, die im psychologischen Mainstream kaum noch eine Rolle spielen. Entsprechend verstaubt wirken einige dieser Lemmata, wie z.B. “Archetypen, Elektrakomplex“ (ein Begriff, von dem sich Sigmund Freud zudem stets distanziert hatte), “Genitalprimat“ oder “phallisches Mutterimago“. Dies gilt umso mehr, als nicht erläutert wird, wo ihre pädagogische Relevanz liegt. Gut vertreten ist die Psychoanalyse auch mit biografischen Porträts; sie finden sich zu August Aichhorn, Sigfried Bernfeld, Erik Erikson, Anna Freud, Sigmund Freud, Erich Fromm, Melanie Klein und Wilhelm Reich (auch zwei Abtrünnige sind aufgenommen worden: Alfred Adler und Carl Gustav Jung; neuere Vertreter wie John Bowlby, Heinz Kohut, Jacques Lacan, Alexander Mitscherlich oder Horst-Eberhard Richter fehlen jedoch). Porträts zu Psychologinnen und Psychologen sind demgegenüber rar. Erstaunlich ist, dass Albert Bandura und Arthur Jensen ein Porträt erhalten haben, denn beide sind noch nicht verstorben (was das Kriterium für die Aufnahme einer Person ins BELTZ Lexikon Pädagogik gewesen wäre, vgl. XI).
Man mag die psychoanalytische Schlagseite als Freiheit der Erziehungswissenschaft, sich ihre Bezugsdisziplinen selber zu wählen, hinnehmen. Oder als Freiheit der Herausgeber, die Adressaten ihres Lexikons lieber mit einer randständigen psychologischen Schule vertraut zu machen als ihnen Einblick in die Begrifflichkeit einer forschungsbasierten Nachbardisziplin zu geben. Die Toleranz stößt aber dort an ihre Grenze, wo Erkenntnisse der psychologischen Forschung unterschlagen werden. So finden sich bei den Lemmata “Destruktion“ und “Zerstörung“ lediglich Hinweise auf Freud und sein Konzept des Todestriebes, das heute kaum noch von einem Psychoanalytiker vertreten wird. Auch die Lemmata zum Thema ‚Aggression’ werden von triebtheoretischen Konzepten beherrscht. Neben Freud wird Lorenz erwähnt, für dessen Konzept einer sich endogen erneuernden energetischen Aggressivität sich selbst in der Biologie niemand mehr ernsthaft aussprechen wird. Des Weiteren ist auch die unter dem Lemma “Aggression, Aggressionstrieb“ (eine zudem seltsame Verbindung zweier Begriffe, die getrennt erläutert werden müssten) erwähnte „Frustrations-Aggressions-Hypothese“ in ihrer ursprünglichen Fassung längst überholt (was dann unter dem Lemma “Frustrations-Aggressions-Hypothese“ auch eingeräumt wird). Beim Lemma “Gewalt“ wird ausgerechnet eines der strittigsten Konzepte in den Vordergrund gerückt (samt Literaturverweis aus dem Jahre 1975), nämlich Galtungs Konzept der strukturellen Gewalt. Die “strukturelle Gewalt“ hat sogar ein eigenes Lemma erhalten, ebenso wie die “symbolische Gewalt“, die “schulische Gewalt“ und die “elterliche Gewalt“ (letztere allerdings mit anderer Bedeutung). Nicht erstaunen kann, dass unter diesen Umständen auch das Lemma zu “Vandalismus“ äußerst unbefriedigend ausfällt. Vandalismus mit „einer blinden Zerstörungswut“ in Verbindung zu bringen, genügt als Erklärungsansatz nicht. Insgesamt bleibt schwer nachvollziehbar, wie angesichts der aktuellen Bedeutung der Themen Aggression und Gewalt – auch und gerade in pädagogischen Kontexten – nicht mehr Information gegeben wird und die wenige Information, die gegeben wird, reichlich veraltet wirkt. Immerhin gibt es zwei Lemmata zu “Bullying“ und “Mobbing“, die etwas aktueller sind.
Ähnliche Vorbehalte sind gegenüber einigen entwicklungspsychologischen Stichwörtern angebracht. Erstaunlich ist, wie auch hier psychoanalytische Konzepte dominieren. Beim Lemma “Kleinstkind“ beispielsweise (ein Lemma “Kleinkind“ gibt es seltsamerweise nicht) wird lediglich auf Literatur von Erikson und Winnicott verwiesen; neuere und nicht-psychoanalytische Titel finden keine Erwähnung. Auch beim Lemma “Kleinstkindpädagogik“ wird nur auf psychoanalytische Schriften verwiesen, wobei mit Spitz („Vom Säugling zum Kleinkind“) ein Werk, dessen Wurzeln bis in die 1940er-Jahre zurückreichen, fokussiert wird. Die Situation ist leicht anders beim Lemma Säugling, da hier auch ein neuerer Titel zitiert wird (Dornes: „Der kompetente Säugling“), der aber wiederum stark psychoanalytisch ausgerichtet ist. Der zweite Titel ist erneut älteren Datums und befasst sich zudem eher mit Entwicklungsstörungen als mit der normalen Entwicklung des Säuglings.
An anderen Stellen wird gelegentlich Piaget erwähnt. Die neueren Ansätze in der Kleinkindforschung, die in den vergangenen Jahren einen enormen Aufschwung erfahren haben, werden jedoch dem Benutzer des BELTZ Lexikons Pädagogik vorenthalten. So fehlen z.B. Einträge zur “Entwicklung der Intentionalität“, zur “intuitiven Elternschaft“ (intuitive parenting), zur “Joint Visual Attention“, zur “Modularität des Geistes“, zur “Nachahmung bei Kleinkindern“, zur “Theory of Mind“ etc.
Aber auch die Adoleszenz wird ziemlich verstaubt dargestellt. Was soll man vom Lemma “Adoleszenzkrise“ halten, das als erstes von einem „Synonym für Adoleszenz“ spricht? Ist die entwicklungspsychologische Forschung nicht längst über die Position hinausgelangt, wonach das Jugendalter zwangsläufig von Konflikten und Krisen geprägt ist? Die starke Fixierung auf Erikson verhindert, dass neuere Ansätze mehr als nur oberflächlich rezipiert werden. Gerade einmal “Havighurst“ (mit eigenem Porträt) und sein Konzept der “Entwicklungsaufgaben“ sind aufgenommen worden. Allerdings muss man fairerweise einräumen, dass eine Reihe von Lemmata, vor allem solche, die aus Wortverbindungen mit ‚Jugend’ bestehen, ein ÜA zu “Jugend und Jugendforschung“ sowie einer zu “Jugendkultur“ Einzelaspekte des Jugendalters aufgreifen und informativ darstellen (z.B. “Anorexie, Jugendkriminalität, Jugendliche, Jugendsubkultur“ oder “Peergroup)“.
Eigenartig ist, dass die “Evolutionäre Pädagogik“ (zu Recht) einen Überblicksartikel erhalten hat, die Evolutionäre Psychologie aber nicht erwähnt wird, und selbst die “biologische“ Evolutionstheorie schwach repräsentiert ist. So wird beim Lemma “Anpassung“ dessen biologische Bedeutung schlicht unterschlagen. Beim Lemma “Anlage“ heißt es, diese würde „heute überwiegend als undifferenziert angesehen“, was angesichts der biologischen und psychologischen Forschung der jüngsten Zeit schlicht falsch ist.
Statt auf Ergebnisse der psychologischen Forschung trifft man auf einen ÜA zur “Neurophysiologie“, der kaum mehr als eine Aneinanderreihung von Einzelergebnissen bietet, deren Relevanz für die Pädagogik offen bleibt. Pädagogisches Alltagswissen wird mit Erkenntnissen der Hirnforschung in Verbindung gebracht, was zwar interessant, aber ziemlich belanglos ist. Brauchen Pädagogen und Erziehungswissenschaftler tatsächlich die Neurophysiologie, um zu erkennen, dass sich Angst negativ auf das Lernen auswirkt? Wussten sie das nicht schon lange? Was die Herausgeber bewogen hat, die Neurophysiologie zudem unter die „Grundbegriffe der Erziehungswissenschaft“ einzureihen (vgl. IXf.), bleibt schleierhaft.
Eine stärkere Beachtung der neueren psychologischen Forschung hätte auch einige Kurzschlüsse im ÜA “Interaktion und Kommunikation“ vermeiden lassen. So heißt es gleich zu Beginn, Interaktion werde “über Kommunikation“ vollzogen. Kommunikation wird etymologisch hergeleitet und soll heißen, „etwas gemeinsam machen“ (347). Dies sei gleichsinnig mit “„mitteilen“, d.h. etwas, ein Wissen, eine Meinung oder eine Erfahrung, mit anderen teilen“ (ebd.). Des Weiteren sei die Kommunikation an Medien gebunden, die Zeichen übertragen, „die einem für die beteiligten Kommunikationspartner gemeinsamen Zeichenvorrat entnommen sein müssen“ (ebd.). Nimmt man diese Aussagen beim Wort, so muss man sich fragen, wie eine Mutter und ihr Kind in den ersten Lebensmonaten überhaupt interagieren können. Denn eine “gemeinsame“ Bezugnahme auf Dinge der Außenwelt, ein “gemeinsamer“ Zeichenvorrat oder ein “gemeinsames“ Wissen ist in dieser Zeit noch nicht vorhanden. Weiter heißt es, Kommunikation würde Gemeinschaft “konstituieren“. Doch in Wahrheit ist es genau umgekehrt: Mutter und Kind müssen zuerst eine Gemeinschaft bilden, bevor das Kind die Fähigkeit zur Kommunikation erwerben kann. Kommunikation kann daher “nicht“ das Medium der Interaktion sein. Die Fähigkeit zur Kommunikation muss erst “aufgebaut“ werden, und zwar “über Interaktion“. Das wäre auch die Einsicht von George Herbert Mead gewesen, der als Beleg zitiert wird.
(5) Man wird den Eindruck nicht recht los, dass das BELTZ Lexikon Pädagogik häufig nicht den aktuellen Stand des Wissens repräsentiert. Einige Lemmata scheinen zudem älterer Herkunft zu sein. Der Verdacht erhärtet sich, wenn man auf einen Eintrag wie denjenigen zu den Vereint